Alsdorf

... unvorstellbaren Ausmaßes". Als Bürgermeister der Stadt Alsdorf, die sich seit 30 Jahren im Strukturwandel mit immensen sozialen Herausforderungen befindet, nimmt Alfred Sonders Stellung zu dem Brandbrief der Kommunen, den er mit weiteren Präsidiumsmitgliedern des Städte- und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen dem NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst übergeben hat.

„Die Städte und Gemeinden in NRW stehen vor einem Drama unvorstellbaren Ausmaßes, einer Katastrophe, die unverzügliches und beherztes Eingreifen und Handeln der Landesregierung erfordert", sagt Sonders. Denn letztendlich sei die Landesregierung in erster Linie für den Erhalt der Handlungsfähigkeit ihrer Kommunen verantwortlich. In den letzten Wochen reihe sich für die Kämmerer und Sonders' Amtskolleginnen und -kollegen Horrormeldung an Horrormeldung. Am Beispiel von Alsdorf mit 48.000 Einwohnern macht er deutlich, wie Kommunen „mit vollem Karacho vor die Wand fahren". Ab 2024 wird keine Isolierung von Covid-/Energie- und Ukrainekriegskosten mehr möglich sein, was das Haushaltsdefizit um vier bis fünf Millionen Euro in 2024 und 2025 erhöht. Zudem wird es keine Lösung der Altschuldenfrage bis Ende 2023 geben, wie ursprünglich von Ministerpräsident Wüst versprochen, sondern erst 2025. So beträgt im kommenden Jahr allein die Höhe der Zinsaufwendungen für Alsdorf 2,1 Millionen Euro – eine Erhöhung um rund 950.000 Euro!
Tiefer in die Tasche greifen müssen die Kommunen zudem bei den Personalkosten nach dem diesjährigen Tarifabschluss – hier werden es für das Haushaltsjahr 2024 in Alsdorf rund 1,06 Millionen Euro mehr sein. Alleine im Haushaltsjahr 2024 rechnet man in Alsdorf mit einer Verschlechterung in Höhe von 15,88 Millionen Euro und insgesamt mit einem negativen Jahresergebnis in Höhe von 15,63 Millionen. Euro. In fünf Jahren rauscht Alsdorf von einem zum 31.12.2022 ausgewiesenen positiven Eigenkapital in Höhe von 26,21 Millionen Euro auf ein negatives Eigenkapital in Höhe von 38,56 Millionen Euro zu! Würde er als Bürgermeister das tun, was nach den kommunalen Finanzregeln und Mechanismen notwendig wäre, müsste er die Grundsteuern von 695 auf fast 1.700 Prozentpunkte mehr als verdoppeln. Sonders: „Das ist verantwortungslos und ein einmaliger Vorgang in der NRW-Landesgeschichte. Und daher bedarf es hier eines Aufschreis der kommunalen Familie!"
Das, wovor die Bürgermeister seit Jahren warnen, tritt nun ein, sagt Sonders. „Jetzt nimmt man uns selbst die Buchhaltungstricks von jetzt auf gleich ab, mit denen wir den Laden noch irgendwie am Laufen gehalten haben, um die Bürgerinnen und Bürger nicht mit höheren Grundsteuern belasten zu müssen!" Weiterhin ließen Bund oder Land sich immer wieder neue „Wohltaten" einfallen, die man stets als tolle Errungenschaft verkaufe, diese aber nicht voll selbst finanziere, sondern den Kommunen als letztes Glied in der Kette mit aufbürde. Beispiele dafür gibt es viele:
- Rechtsanspruch auf Kitaplatz und OGS-Platz: Dazu bedarf es nach der jetzigen Lage sowohl kommunaler Anteile bei den Investitionen als auch im Betrieb. Die kommunalen Verbände werden dabei angehört aber oft genug werden ihre Bedenken überhört, ignoriert und über die kommunalen Köpfe hinweg entschieden.
- Konkretisierungen in der Jugendhilfe und mehr Aufgaben für die Kommunen: Wünschenswerte Vorkehrungen für Jugendliche durch neue Auflagen für die Kommunen führen zu jährlichen Steigerungen von fünf bis zehn Prozent und machen in Alsdorf mittlerweile fast 14 Millionen Euro aus für den Bereich der Jugendhilfe, das entspricht beinahe jedem zehnten Euro des Gesamthaushaltes. Bund und Land haben sich schon seit Jahren aus der Finanzierung hierfür verabschiedet, greifen aber fleißig in diese Angelegenheit ein. Wenn die von Bund und Land angedrohte „Große Lösung" in der Jugendhilfe kommt, die große Aufgabenbereiche zusätzlich den Kommunen zuweist, ist das der letzte Dolchstoß für die Städte und Gemeinden.
- Zudem sind die Kommunen diejenigen, die die großen „Wenden" für Land und Bund organisieren müssen, zu denen Wärme-/ Klimawandel, Verkehrswende, Digitalisierung und eine Vollbetreuung im Kita- und Schulbereich gehören. Sonders: „Dazu wird es wieder Förderprogrämmchen geben, die die Kommunen alle gar nicht arbeitstechnisch bewältigt bekommen, zu denen Sie die Eigenanteile gar nicht aufbringen können und die mehr Bürokratie und Verwaltungsaufwand verursachen, als notwendig wäre, würde man stattdessen den Kommunen feste zweckgebundene Budgets zuweisen." Da es in der Realität jedoch an langfristiger Planung durch Bund und Land fehle, werde keine dieser Wenden stattfinden, schon gar nicht in den angegebenen Zeiträumen.
Sonders' Fazit: „Wir stehen jetzt vor dem kommunalen Kollaps und hier ist vor allem das Land gefordert!" Es brauche ein Notprogramm für die nächsten fünf Jahre und in dieser Zeit einen demokratischen Konsens über Parteigrenzen hinweg zwischen Bund, Ländern und Kommunen mit einem ehrlichen Kassensturz und dem Ziel, die Kommunen wieder stark zu machen. „Sonst können Land und Bund alle schönen Transformationspläne schlicht vergessen. Der von Bundeskanzler Scholz geforderte Deutschlandpakt ist nicht nur eine gute Idee, sondern ein absolutes Muss!" Es brauche mehr Landes- und Bundesmittel pauschaliert zur freien Verplanung in die Kommunen, wie bei den Konjunkturpaketen I und II oder „Gute Schule 2020" für jedes Transformationsthema und das Füllen dieser Schatullen für zehn Jahre. „Dann wird man sehen, dass die Transformation von Verkehr, Energie, Digitalisierung, Kita und Schule auch vorankommen." Diese Systemumstellung würde zudem bei Bund, Ländern und Kommunen zu einer echten Verschlankung durch Bürokratieabbau führen. Mindestens ein Drittel der Personalstellen und ein Heer an teuren Beratern und Agenturen können eingespart und stattdessen im operativen Geschäft in den Kommunen, die die vielen Projekte stemmen müssen, eingesetzt werden. „Das wäre der schlanke Staat, den alle gerne hätten und es wäre genug Geld für die Gestaltung der Zukunft da!" Dazu gehöre auch eine echte Entlastung für die Kommunen, das heißt: Echte Übernahme der Kassenkredite durch Bund und Land und keine Umschichtung von einem Kommunaltopf in den anderen. Darüber hinaus sollte der Steueranteil der Kommunen aus dem Gesamtsteueraufkommen des Landes NRW im Gemeindefinanzierungsgesetz wieder von 23 auf 28 Prozent steigen, damit eine Neuverschuldung der Kommunen verhindert wird.
Bei der Übergabe des Brandbriefes in Düsseldorf habe Hendrik Wüst seine Achtung vor der Leistung der Kommunen betont, gleichzeitig aber klargestellt, dass auch das Land mit dem Rücken zur Wand stehe, so Sonders. „Er wolle alles in seiner Macht Stehende tun, um den Kommunen zu helfen. Darauf müssen wir zählen können, denn die Zeit drängt. Wir brauchen jetzt echtes Geld, um nicht den Bürgerinnen und Bürgern tief in die Tasche greifen zu müssen!" Wenn aber das Land nichts habe und auch beim Bund nichts holen könne, müsse man uns durch haushaltsrechtliche Maßnahmen ermöglichen, für die vor uns liegenden Krisen- und Transformationsjahre die Haushalte so zu gestalten, dass Steuererhöhungen auf kommunaler Seite vermieden werden. „Das gilt vor allem für finanz- und sozialschwache Kommunen wie Alsdorf. Und davon gibt es viele in NRW!"