RWTH

FIR stellte Status quo und Lösungsmöglichkeiten der Industrie 4.0 auf den ERP-Tagen vor.  Kontaktlinsen, die den Blutzuckerspiegel messen, Schnuller, die Auskunft über die Körpertemperatur eines Babys geben und Scheibenwischer, die vollautomatisch Informationen an eine Wetterstation senden und vor lokalen Regenschauern warnen: Technologische Entwicklungen, die klingen wie aus einem Sciencefiction-Film, halten mit rasanter Geschwindigkeit Einzug in unseren privaten Alltag. Umso verwunderlicher ist es, dass dieser rasche Informationsaustausch trotz der wachsenden Herausforderungen, wie Preis- und Innovationsdruck, in produzierenden Unternehmen noch nicht angekommen ist.  So befinden sich die Firmen weltweit nach wie vor in einem Blindflug, wenn es darum geht, Auskunft über ihre laufenden Produktionsprozesse zu erteilen. Damit insbesondere Deutschland die digitale Aufholjagd nicht verliert, hat es sich das FIR an der RWTH Aachen zur Aufgabe gemacht, Innovationen im Bereich der digitalen Auftragsabwicklung voranzutreiben.

Demzufolge standen auch die 22. Aachener ERP-Tage, eine der größten Veranstaltungen zum Thema „Enterprise-Resource-Planning“ im deutschsprachigen Raum, in diesem Jahr ganz im Zeichen der vierten industriellen Revolution, die in der Presse derzeit unter dem Begriff „Industrie 4.0“ für Schlagzeilen sorgt und die die zunehmende intelligente Digitalisierung der industriellen Prozesse beschreibt. Im Fokus der vierten industriellen Revolution stehen cyberphysische Systeme, die mithilfe von Sensoren Daten in jeglicher Hinsicht in Echtzeit erfassen und vollautomatisch verarbeiten können.

Die Relevanz der Thematik wurde durch die hohe Teilnehmerzahl unterstrichen. So waren über 100 Vertreter aus Forschung und Industrie der Einladung des Instituts gefolgt, um sich am 10. und 11. Juni im Cluster Smart Logistik auf dem RWTH Aachen Campus über die neuesten technologischen Errungenschaften und die aktuellsten Entwicklung im Bereich der Digitalisierung zu informieren und daraus Rückschlüsse für ihre eigenen Geschäftsmodelle zu ziehen.

„In der Produktion fehlt die Prognosefähigkeit“, so der Direktor des FIR, Professor Günther Schuh. So gäbe es bisweilen beispielsweise nur unzureichende Informationen zu den Übergangszeiten in der Fertigung. „Wir müssen dahin kommen, dass wir auf Knopfdruck den Zustand eines Unternehmens abrufen können“, so Schuh. Er empfahl den Unternehmen, dass sie sich Gedanken darüber machen, welche Informationen beziehungsweise Daten sie erfassen und auswerten können, um diese anschließend auf Ursache-Wirkungszusammenhänge hin zu untersuchen und so ihre Prognosefähigkeit zu steigern.

Diese Ansicht unterstrich auch Professor Michael Henke vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik. Unternehmen könnten nicht von jetzt auf gleich Industrie 4.0 umsetzen; vielmehr sei es ein Migrationsprozess, der auf der Managementebene begonnen werden müsse. Das Thema Changemanagement spiele hier eine entscheidende Rolle. Mitarbeiter müssten die Chance bekommen, Ideen auszuprobieren und Fehler zu machen, um daraus zu lernen, so Henke.

Welche Möglichkeiten produzierende Unternehmen haben, um mithilfe cyberphysischer Systeme ihre Prozesse zu optimieren, verdeutlichte der Geschäftsführer der Aachener Demonstrationsfabrik (DFA), Dr. Thomas Gartzen. Die Demonstrationsfabrik ist eine reale mittelständische Fabrik innerhalb eines universitären Umfeldes, die es erlaubt, neueste technologische Entwicklungen in die Produktion zu implementieren und deren Auswirkungen auf die laufenden Prozesse zu testen.  „Unsere Fabrik ist eine Art Bewegungsdatengenerator“, erklärte Gartzen. Mithilfe von Sensoren werden in der DFA beispielsweise Informationen zu den Übergangszeiten, die in der freien Wirtschaft derzeit auf Schätzwerten basieren, genau erfasst und zur Auswertung an ein angeschlossenes Forschungslabor (ERP-Innovation-Lab) gespielt. Zudem wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts eine Applikation (App) entwickelt, die ähnlich wie ein digitales Blutbild als Entscheidungshilfe für den Fertigungssteuerer genutzt werden kann.

Dass diese Daten nicht nur zur Optimierung von Prozessen genutzt werden, sondern auch dazu dienen können, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, verdeutlichte Clemens Otte vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). So forderte er die Teilnehmer dazu auf, sich mit Trends zu befassen, da diese maßgeblich durch die Digitalisierung getrieben würden. Dabei bezog er sich, wie auch seine Vorredner, auf die Bedeutung von Apps und verwies darauf, dass nicht das Smartphone die Gewinne der Unternehmen generiere, sondern die sich darauf befindlichen Apps.

Zusammenfassend waren sich die Redner auf den Aachener ERP-Tagen in einigen Punkten einig: Sie sehen nahezu alle den Kunden und seine Wünsche als Treiber für die Digitalisierung und als Ausgangspunkt aller unternehmerischen Handlungen. Des Weiteren waren alle Referenten der Auffassung, dass rechtliche Rahmenbedingungen – insbesondere zum Thema Datensicherheit sowie zu den Rechten an den Daten – grenzüberschreitend geklärt werden müssen. Zudem waren alle der Auffassung, dass die vierte industrielle Revolution zwar Berufssparten verdrängen wird, aber dass auch neue, anspruchsvollere Berufe entstehen werden.  

So forderte Professor Frank Piller vom Lehrstuhl für Technologie und Innovationsmanagement der RWTH Aachen zum Abschluss der Aachener ERP-Tage eine neue Innovationskultur und interdisziplinäre Teams, die sich gemeinsam den Herausforderungen der Industrie 4.0 stellen.

Die nächsten Aachener ERP-Tage finden vom 14. bis zum 16. Juni 2016 statt. Weitere Informationen zu der Veranstaltung sind online auf der Internetseite www.aachener-erp-tage.de abrufbar.