Alles rund um Aachen

Der Schriftsteller Norbert Scheuer wurde am vergangenen Sonntag (12. November) im Aachener Ludwig Forum mit dem Walter-Hasenclever-Literaturpreis ausgezeichnet. Der Preis wurde im Gedenken an den in Aachen geborenen Schriftsteller Walter Hasenclever gestiftet. Er zeichnet literarische Arbeiten aus, die in der künstlerischen Grundhaltung, durch Themenwahl oder durch literarische Form mit dem Wirken Hasenclevers in Verbindung gebracht werden können.

Die Jury würdigte mit der Preisvergabe 2023 das Gesamtwerk des 1951 geborenen Autors, „der in seinem Werk auch das Erbe Hasenclevers gestaltet und aktualisiert". Norbert Scheuer lebt als freier Schriftsteller in der Eifel und entfaltet in seinen Romanen die Landschaft und das Leben der Menschen in der Eifel paradigmatisch für grundsätzliche Fragen der Gegenwart.

Foto © Stadt Aachen / Andreas Herrmann.
(v.l.n.r.) Axel Schneider, Vorsitzender der Hasenclever-Gesellschaft, Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen, Preisträger Norbert Scheuer, Laudator Martin Oehlen sowie Olaf Müller, Leiter des städtischen Kulturbetriebs, bei der Verleihung des Walter-Hasenclever-Literaturpreises der Stadt Aachen 2023

In ihrer Begrüßungsansprache erinnerte Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen daran, dass Norbert Scheuer mit seinem Werk einen Ort aus der Region, nämlich Kall, auf die literarische Landkarte der deutschsprachigen Literatur gebracht habe. Sie sagte: „Was ihr literarisches Schaffen so einzigartig macht, ist die Art und Weise, wie Sie sich mit verschiedenen Themen auseinandersetzen – sei es Kall und die Welt, Kall und die Geschichte, oder auch das alltägliche Leben in Zeiten großer Veränderungen und Herausforderungen".

„Winterbienen"
Norbert Scheuer erhielt zahlreiche Literaturpreise und veröffentlichte zuletzt die Romane „Die Sprache der Vögel" (2015), der für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war, „Am Grund des Universums" (2017) und „Winterbienen" (2019). „Winterbienen" stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises, wurde zum Bestseller und in zahlreiche Sprachen übersetzt. In dem Roman schmuggelt der Außenseiter Egidius in Bienenkörben Juden über die Grenze nach Belgien, um sie vor dem Tod im nationalsozialistischen Deutschland zu retten.

Mit Blick auf gerade dieses Buch betonte Sibylle Keupen, „dass wir 83 Jahre nach dem Suizid von Walter Hasenclever in Südfrankreich, ausgelöst durch die bevorstehende Deportation, das Grauen eines Pogroms an jüdischen Bürger*innen erleben mussten, wirft einen Schatten auf all unsere Bemühungen, Antisemitismus und Judenfeindlichkeit nach den Holocaust zu bekämpfen, einzugrenzen und in seiner Gefährlichkeit deutlich zu machen".
„Liebevolle Unerbittlichkeit"
An die Spuren des Nationalsozialismus erinnerte an diesem Vormittag ebenfalls der Literaturkritiker Martin Oehlen. „Dass die Vergangenheit nicht vergangen ist, sondern in vielen Falten und Poren der Gegenwart nistet, führt Norbert Scheuer immer wieder vor Augen", erklärte er in der Laudatio auf den Preisträger. „Der Nazi-Schrecken scheint am intensivsten im Roman ‚Winterbienen' auf: Antisemitismus, Zwangsarbeit, Weltkrieg. Es imponiert, wie Norbert Scheuer davon erzählt. Es ist eine liebevolle Unerbittlichkeit, die in diesen Werken waltet. Alles kommt auf den Tisch. Und wir sind die Zeug*innen. Aber hier sitzt niemand zu Gericht. Niemand fällt ein Urteil. Norbert Scheuer – und das gehört zum Kern seiner Poetik – will zeigen, aber nicht erklären. Er will beschreiben, aber nicht urteilen. Was wir von alledem zu halten haben, überlässt er uns."

In seiner Dankesrede betonte Norbert Scheuer, dass sich auch heute noch Menschen, die sich wie Walter Hasenclever für friedliche Konfliktlösungen einsetzten, öffentlich als Sofapazifisten, Unterwerfungspazifisten oder Lumpenpazifisten bezeichnet würden. Er erklärte: „Sich öffentlich für diplomatische Lösungen und Verhandlungen einzusetzen, auch den anderen in seinen Motiven und Beweggründen verstehen wollen, erfordert heute wieder Mut, mehr Mut, als manch einer aufbringen möchte oder kann, weil er damit unter Umständen seine berufliche Existenz aufs Spiel setzt." Und weiter: „Ich finde es bemerkenswert, dass die Stadt Aachen und die Jury sich ihrem berühmten Sohn, Walter Hasenclever, verpflichtet sieht und somit zu einer Vielstimmigkeit der Standpunkte und Meinungen beiträgt."

Bisherige Preistragende
In seiner jetzigen Form existiert der Walter-Hasenclever-Preis seit 1996. Bisherige Preisträger waren Peter Rühmkorf (1996), George Tabori (1998), Oskar Pastior (2000), Marlene Streeruwitz (2002), F. C. Delius (2004), Herta Müller (2006), Christoph Hein (2008), Ralf Rothmann (2010), Michael Lentz (2012), Michael Köhlmeier (2014), Jenny Erpenbeck (2016), Robert Menasse (2018) und 2020 Marica Bodrožić.

Der Preis wird getragen von der Walter-Hasenclever-Gesellschaft, dem Einhard-Gymnasium - der ehemaligen Schule Hasenclevers –, dem Aachener Buchhandel sowie der Stadt Aachen. Der Jury gehörten in diesem Jahr Bettina Baumann vom Einhard-Gymnasium, Hilde Scheidt, Bürgermeisterin der Stadt Aachen, Dr. Jan Bürger vom Literaturinstitut Marbach, Olaf Müller vom Kulturbetrieb der Stadt Aachen, Axel Schneider, Vorsitzender der Walter-Hasenclever-Gesellschaft, Martin Schwoll von der Buchhandlung Backhaus und Thomas Thelen, Chefredakteur der Aachener Zeitung, an. Mit Dr. Bürger gehört dem Kuratorium auch ein Vertreter des Deutschen Literaturarchivs in Marbach an, das den Nachlass Hasenclevers pflegt und sich als Hauptträger am Preis beteiligt. Der Preis ist mit 20.000 Euro dotiert.