Alles rund um Aachen

Für viele Kinder ein Start in eine gesunde Entwicklung. Nein, es betrifft auf keinen Fall nur Familien aus prekären Lebensumständen – da sind sich die Expert*innen beim ersten Fachtag „Frühe Hilfen" in Aachen einig, der Ende vergangener Woche stattfand.

Auch eine Akademikerin kann bei einem ständig schreienden Kind an den Rand der Verzweiflung geraten, auch sie muss erst mal lernen, wie Wickeln ganz praktisch geht. „Aber bei ihr ist vielleicht die Hürde etwas höher, sich fremde Hilfe zu suchen", kann sich Stefanie Frank, Master of Science „Early Life Care, Gesundheitsorientierte Familienbegleitung, Still- und Laktationsberaterin IBCLC", vorstellen. Sie war als Referentin extra aus Landshut nach Aachen gereist – und begeistert von den vielen Ideen und Ansätzen, die beim Fachtag auf dem „Markt der Möglichkeiten" vorgestellt wurden.

Foto (© Stadt Aachen/Lena Hoof)

BU: Viel Kompetenz beim erfolgreichen Fachtag „Fühe Hilfen" in Aachen: Stefanie Frank, Master of Science „Early Life Care, Gesundheitsorientierte Familienbegleitung, Still- und Laktationsberaterin IBCLC", Landshut, Annette Berger, Fachberatung Frühe Hilfen, LVR Landesjugendamt, Jutta Neukirchen, Koordination "Frühe Hilfen" im Fachbereich Kinder, Jugend und Schule der Stadt Aachen, Professorin. Dr. em. sc. oec. Uta Meier-Gräwe, Gießen, Elisabeth Falk-Maicher, Besuchsdienst für Eltern von Neugeborenen und Horst Hütten, Teamleiter Bestellte Pflegschaften/Vormundschaften und institutioneller Kinderschutz beide Stadt Aachen (v.l.).

Jene hypothetische Akademikerin bräuchte dann auch professionelle Beratung – eben den richtigen Akteur im Netz der „Frühen Hilfen". Stefanie Frank: „Diese Hilfen sollen die Elternkompetenz stärken und die Bindung zwischen der Mutter oder den Eltern und dem Kind stärken." Diese Idee kann Annette Berger, Fachberatung Frühe Hilfen, LVR Landesjugendamt, nur bestätigen: „Es ist Hilfe für jungen Eltern in der ersten Zeit, um die Unterstützung zu bekommen, die gerade passt." Berger ist sicher: „Wenn man zum ersten Mal Eltern wird, hat man ganz viele Fragen – die Mütter oder Schwiegermütter vielleicht nicht immer richtig beantworten könnten." Zumal in der heutigen Zeit das Netzwerk der Familie ja nicht immer greifbar ist. „Es kann ja sein, dass Menschen alleine wohnen, und die Familie nicht um die Ecke ist. Außerdem: Die Vorstellung ‚die Familie wird's schon richten' ist so nicht mehr richtig", ist Professorin. Dr. em. sc. oec. Uta Meier-Gräwe aus Gießen überzeugt. Die zweite Fachreferentin des Tages weist damit auf komplett veränderte gesellschaftliche und familiäre Lebens- und Arbeitsrealitäten hin.

Starkes Netzwerk in Aachen etabliert
Ganz konkret für Aachen heißt das: Es gibt ein Hilfenetzwerk von rund 40 Organisationen aus den unterschiedlichsten Bereichen von der klassischen Erziehungsberatung über medizinische Angebote, dem Verein „Frauen helfen Frauen", dem Verband der alleinerziehenden Mütter und Väter, Hebammen und Geburtskliniken bis hin zu entlastenden Angeboten wie Familienpatenschaften. Gebündelt werden die Angebote beim Kinderschutzbund als erster Anlaufstelle. Der Fachbereich Kinder, Jugend und Schule übernimmt die Steuerung, etwa die Verteilung der Gelder, die Kontakte zu übergeordneten Stellen bei Land und Bund und so weiter. „Ohne unser Netzwerk wären wir nicht arbeitsfähig", weiß Jutta Neukirchen, zuständig für die Koordination „Präventionskette/Frühe Hilfen" im Fachbereich Kinder, Jugend und Schule der Stadt Aachen.

Einen Startschuss gibt oft der städtische Fachbereich: Alle Eltern, die gerade in Aachen ein Kind auf die Welt gebracht haben, werden von Elisabeth Falk-Maicher oder ihrer Kollegin zunächst angeschrieben und bekommen einen Terminvorschlag für ein erstes Beratungsgespräch – Zuhause oder im Fachbereich –, bei dem ein Begrüßungspaket der Stadt lockt. Herzstück ist ein umfangreicher Ordner mit vielen Tipps, Adressen und Hilfen. „Den gehen wir dann auch mit den Eltern mal durch, geben Hinweise, antworten auf Fragen", so Falk-Maicher. Nach dem ersten Kind würden sich rund 70 bis 80 Prozent der jungen Familien zurückmelden und den freiwilligen Termin wahrnehmen. Jährlich gibt es in Aachen rund 2.200 Geburten. Diese Termine schaffen Vertrauen, geben dem „Jugendamt" ein Gesicht: „Es wird nicht als Bedrohung gesehen, als Kontrollinstanz", nimmt Falk-Maicher wahr. Oft entwickelt sich aus diesem Erstkontakt eine langjährige Bindung. Familien melden sich Jahre später bei der Suche nach der richtigen Kita oder einem Therapieplatz. Und natürlich kann der Fachbereich auch da weiterhelfen.

Finanziert werden die „Frühen Hilfen" in Aachen, aber auch anderswo, in erster Linie durch die Kommunen. „Es kann natürlich immer mehr sein. Aber in Aachen ist die Finanzierung derzeit auskömmlich", erläutert Horst Hütten, Teamleiter bei der Stadt Aachen. Neben den kommunalen Mitteln gibt es noch Gelder von der „Bundesstiftung Frühe Hilfe". „Bestimmte Projekte kann auch das Land fördern", so Annette Berger.

„Frühe Hilfen" rechnen sich – auch mit Blick auf Folgekosten
Der Appell von Uta Meier-Gräwe: „Bitte nicht in diesem Bereich sparen! Das sind ganz wichtige Institutionen." Oft, so beklagt die Wissenschaftlerin, würden solche Unterstützungen nicht als Teil der Ökonomie gesehen: „Aber die ‚Frühen Hilfen' rechnen sich." Ohne zielgerichtete Unterstützung könnten die Folgen für das Kind tragisch sein, aber auch für die Gesellschaft – Stichwort: Folgekosten. Auf die Frage an die beiden Referentinnen nach einem Wunsch antworten sie unisono: „Mehr Fachpersonal." Die Berufe in diesen Bereichen müssten wieder attraktiver gemacht werden, mehr Anerkennung erfahren – auch finanziell.