Gerichtsnews

Die  9.  Große  Strafkammer  des  Landgerichts  Aachen  hat  heute  (Montag,  30.11.2020)  den Angeklagten  freigesprochen.  Dem  53  Jahre  alten  Rechtsanwalt  aus  Eschweiler  waren  Betrug, versuchter Betrug, Urkundenfälschung und Anstiftung zur falschen Versicherung an Eides statt, zum Teil in Form der Beihilfe, im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit in den so genannten NSU- und Loveparade-Verfahren zur Last gelegt worden.

Die  Kammer  unter  Leitung  der  Vorsitzenden  Richterin  am  Landgericht  Melanie  Theiner  hat entschieden, dass der Angeklagte sich bei der anwaltlichen Vertretung eines vermeintlichen Opfers des Nagelbombenanschlages vom 09.06.2004 in der Keupstraße in Köln namens Meral Keskin nicht strafbar gemacht hat. Sie hat festgestellt, dass der zwischenzeitlich verstorbene Nebenkläger Attila Ö. – selbst ein Opfer des Anschlags – die Meral Keskin erfunden hatte. Dass der Angeklagte in ihre Erfindung  eingebunden  gewesen  wäre  oder  Kenntnis  davon  erlangt  hätte,  hat  die  umfangreiche Beweisaufnahme  nicht  ergeben.  Anhaltspunkte,  die  in  der  heutigen  Rückschau  ohne  Weiteres Zweifel an der Existenz und Nebenklageberechtigung begründen, sind als Nachlässigkeiten in der anwaltlichen  Berufsausübung  zu  sehen.  Sie  lassen  unter  Berücksichtigung  der  jeweiligen Begleitumstände  aber  nicht  den  Rückschluss  darauf  zu,  dass  der  Angeklagte  vorsätzlich  und  in betrügerischer Absicht gehandelt hat. Insbesondere ergibt sich auch nicht aus einer Gesamtschau der  Indizien,  dass  der  Angeklagte  schon  im  Jahr  2013  bösgläubig  gewesen  wäre,  als  er  die Zulassung  der  Nebenklage  und  seine  Beiordnung  gegenüber  dem  Oberlandesgericht  München beantragte. Ob diese Nachlässigkeiten berufsrechtliche Sanktionen erfordern, wird ggfs. in einem gesonderten  Verfahren  vor  der  Rechtsanwaltskammer  bzw.  dem  Anwaltsgerichtshof  geprüft werden.  Der  Angeklagte  war  für  die  vermeintliche  Geschädigte  im  Staatsschutzverfahren  vor  dem  OLG München – 6 St 3/12 – als Nebenklagevertreter aufgetreten und hatte hierfür in der Zeit zwischen dem 06.06.2013 und 17.08.2015 aus der Justizkasse Bayerns Zahlungen von insgesamt mehr als 200.000,00  €  erhalten.  Aufgrund  eines  rechtskräftigen  Bescheids  des  OLG  München  leistet  er hierauf seit geraumer Zeit Rückzahlungen. Zudem hatte der Angeklagte für die Meral Keskin eine
-2-pauschale  Härteleistung  als  Opfer  eines  extremistischen  Übergriffs  beim  Bundesamt für  Justiz  in Höhe von 5.000,00 € geltend gemacht, die er an den Attila Ö. auszahlte.  Die  Kammer  hat  den  Angeklagten  auch  von  dem  Vorwurf  des  versuchten  Betruges  im Zusammenhang  mit  dem  so  genannten  Loveparade-Verfahren  freigesprochen.  Es  war  nicht festzustellen,  dass  der  Angeklagte  vorsätzlich  versucht  hat,  unberechtigt  die  Zulassung  als Nebenklägervertreter für einen potentiell Geschädigten vor dem Landgericht Duisburg – 35 KLs 112 Js  23/11  –  5/14  –  zu  betreiben.  Ebenso  wenig  hat  die  Kammer  feststellen  können,  dass  der Angeklagte ein im November 2014 übernommenes Mandat ohne Zustimmung seiner Mandantin an einen Rechtsanwalt aus Köln weitergegeben hätte. Die Staatsanwaltschaft Aachen hatte in ihrem Schlussvortrag beantragt, den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren zu verurteilen, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Weiterhin hatte sie beantragt, ein auf den Bereich der Strafrechtspflege beschränktes Berufsverbot  von  2  Jahren  zu  verhängen.  Die  Verteidigung  hatte  beantragt,  den  Angeklagten freizusprechen. Gegen das Urteil steht der Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel der Revision zu.