Alles rund um Aachen

Nenja Ziesen (32) kennt sich schon richtig gut aus, dabei hat sie erst im Juli dieses Jahres ihr Amt als Integrationsbeauftragte der Stadt Aachen übernommen. Ihr Büro in der ehemaligen Nadelfabrik am Reichsweg ist geräumig. Am Besprechungstisch ist viel Platz für Team und Gäste. „Nur durch Austausch und Dialog können wir etwas voranbringen", sagt Nenja Ziesen, die an der RWTH Aachen nicht nur Soziologie und Politische Wissenschaften studiert hat, sondern die Sozialforschung in ihre tägliche Arbeit einbindet. Sie beobachtet, hält gesellschaftliche Entwicklungen fest, ist mal erschrocken, dann wieder fasziniert von Phänomenen, die häufig in der Sprache ihren unbewussten Ausdruck finden und das Verhalten der Menschen bestimmen.

Foto © Stadt Aachen / Andreas Herrmann.

Integration – das bedeutet, dass man in Aachen Menschen aus rund 160 Nationen begegnet. Sie machen gut 36 Prozent der Bevölkerung aus. „Aachen hat eine herausragende Stellung, weil die Stadt Hochschulstandort ist, da besteht internationale Anziehungskraft", betont sie. „Hinzu kommt die Grenzlage. Das ist schon sehr besonders."

Das Integrationskonzept mit Leben füllen

Das rund 100 Seiten umfassende Integrationskonzept der Stadt ist für die Beauftragte ein Dokument, das es mit Leben zu füllen gilt. Die dort propagierten Themenfelder wie „Anerkennungskultur", „Zusammenleben im Quartier" und „Gesellschaftliches Engagement und Teilhabe" gehören zu ihrem Aufgabenbereich. Eine Fortschreibung des Konzeptes ebenso.

Integration als gegenseitiger Prozess – sie weiß, dass es nur so funktionieren kann. Und das beginnt im alltäglichen Leben. „Wir sollten uns immer Zweierlei fragen: Wie gut fühle ich mich in der Gesellschaft aufgehoben, und wie offen bin ich gegenüber anderen? Das bewirkt schon einiges", versichert die Soziologin. Dabei lässt sie aufhorchen, was rundum gesprochen wird. Eine Reinemachefrau mit Kopftuch ist für viele kein Grund zur Diskussion. Eine Ärztin oder Lehrerin, die die traditionelle Bekleidung einer Muslima trägt, weckt noch immer Diskussionen. „Je höher die Position, umso schwierig wird es mit der Anerkennung, wir leben in Parallelgesellschaften", weiß Nenja Ziesen. „Alltagsdiskriminierung findet vielfach in der Sprache und verdeckt statt, in den existenziellen Bereichen, wie Wohnen, Leben, Arbeiten, keine Frage. Schubladendenken sollten wir bei uns selbst ermitteln."

Die „Aachener Haltung" als Basis

Was kann man da tun? Sie fordert Selbstreflexion, das Innehalten und Nachsinnen über oft in der Jugend bereits übernommene Sprüche, die wiederum eine Haltung zur Folge haben. Statt fachlicher Anerkennung schleicht sich so Skepsis bis hin zur Stigmatisierung ein. Die Beauftragte nennt gern als Basis des umfänglichen Integrationskonzeptes die dort erwähnte „Aachener Haltung", die nichts weniger als die Akzeptanz eines für alle gemeinsamen Aachener Lebensraums bedeute. „Das verbindet uns, egal, wo wir herkommen", meint sie. Wo ist es schwierig? In den Kitas und Schulen laufe es in Sachen Integration schon recht gut und konzeptionell ausgereift, das hat ihr das Kommunale Integrationszentrum gezeigt.

„Diskriminierung findet oft hinterrücks statt"

„Bauchschmerzen" bekommt sie allerdings im Blick auf die alltägliche Lebenswelt mit Wohnungssuche, Öffentlichem Personennahverkehr oder Pöbeleien an der Supermarktkasse. „Die Probleme sind schwer zu fassen, Diskriminierung findet oft hinterrücks statt", sagt sie. Und wenn Menschen mit Migrationshintergrund alt werden, fachliche Pflege brauchen und sterben?  „Da muss noch eine Menge passieren, aber wir sind gut vernetzt", versichert die Integrationsbeauftragte. Rassismus? „Wirklich wichtig ist es, das Erstarken dieser Richtung deutlich zu machen."

Die Arbeit der Ehrenamtler stärken

Das Telefon der Integrationsbeauftragten klingelt häufig, es gibt Anfragen und Hilferufe von Bürgern und Bürgerinnen und den einzelnen international geprägten Foren. Da verfügt sie über ein großes Netzwerk, pflegt den regen Kontakt mit den kommunalen Einrichtungen. „Wir haben ein Konzept für die Nadelfabrik, wir wollen gegen die Stigmatisierung besonders in diesem Viertel angehen." Wichtig ist ihr das innovative Präventionsprogramm „Wegweiser – gemeinsam gegen gewaltbereiten Salafismus", mit dem man jetzt vom Stadtgebiet in die Region gehen konnte – die StädteRegion ist Kooperationspartner. „Das dringlichste ist, die Gesellschaft für den Unterschied zwischen Islam, Islamisierung  und Salafismus zu sensibilisieren", verlangt sie. „Auch da werden Begriffe durcheinander geworfen und Ängste geschürt." Stärken will sie zudem die Arbeit der Ehrenamtler und Ehrenamtlerinnen, die besonders im Umgang mit Geflüchteten Unterstützung und guten Rat brauchen.

Einen Schwerpunkt ihrer Arbeit 2020 hat sie fest im Blick: die Sprache, ob es nun die Flyer betrifft, die Geflüchtete über Integrationsmöglichkeiten informieren, aber in viel zu wenig Übersetzungen vorliegen, oder das Thema Spracherwerb. „Sprache kritisch hinterfragen, ist eine meiner Aufgaben", betont Nenja Ziesen. „Hierzu gehört die Anerkennung, dass andere Sprachen da sind, die gleichfalls eine Berechtigung haben. So wichtig das Erlernen von Deutsch halt auch ist."

Text © Stadt Aachen / Sabine Rother.