RWTH

Forschungsprojekt der RWTH Aachen, Philipps-Universität Marburg und Freien Universität Amsterdam zu Einflussfaktoren auf die Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen. Kriege oder politische Unruhen in zahlreichen Ländern der Welt ließen in den vergangenen Jahren eine immer größere Anzahl von Menschen aus ihrer Heimat fliehen. Im Jahr 2015 gingen 1,3 Millionen Flüchtlingsgesuche an die Mitgliedsstaaten der EU. Diese Staaten stehen dadurch vor großen Herausforderungen. Die öffentlich geführte politische Debatte über den Umgang mit Geflüchteten zeigt eine zunehmende Polarisierung innerhalb der Bevölkerung in vielen Ländern: Ein Teil der Bevölkerung heißt sie grundsätzlich willkommen und leistet bereitwillig Hilfe. Ein anderer Teil steht ihrer Aufnahme und Unterstützung skeptisch bis ablehnend gegenüber.

Ein interdisziplinäres Team von Psychologen und Wirtschaftswissenschaftlern aus Deutschland und den Niederlanden forschte nun nach den Gründen. Vorherige Studien untersuchten bereits die Motive und Erwartungen der Bevölkerung gegenüber Geflüchteten anhand von Umfragen, die jedoch anfällig für sozial erwünschte Antworten waren und zusätzlich oftmals keine Ursache-Wirkungs-Beziehungen nachwiesen. Um präzisiere und unverfälschte Ergebnisse zu bekommen, entwickelte das Forscherteam mit Methoden aus der Experimentellen Wirtschaftsforschung ein Entscheidungsspiel, das die Interaktion zwischen Bürgern und Geflüchteten abstrakt nachbildet. „Ein solches Entscheidungsexperiment bietet den Vorteil, dass es im Gegensatz zu Umfragen realistische finanzielle Anreize abbildet und damit echte Konsequenzen sowohl für Spieler in der Rolle der Bürger als auch für Spieler in der Rolle der Geflüchteten hat“, betont Juniorprofessor Robert Böhm, Leiter der Forschungsgruppe für Decision Analysis an der RWTH Aachen.

Das Team wollte ermitteln, inwiefern ökonomische und psychologische Faktoren die Hilfsbereitschaft des Einzelnen beeinflussen. In einem interaktiven Computer-Labor spielten insgesamt über 350 Personen verschiedene Varianten des Entscheidungsspiels, in dem sie entweder in der Rolle des Bürgers oder des Geflüchteten handelten. Als Bürger erfüllten sie Arbeitsaufgaben, die entlohnt und besteuert wurden. Sie standen vor der Entscheidung, wie viel ihres Steuergeldes sie dem Mitspieler in der Rolle des Geflüchteten zur Unterstützung geben würden. In der Rolle des Geflüchteten ist man in dem Spiel abhängig von der Hilfe der Bürger, weil man keine Arbeitsaufgabe bekommt und somit auch keinen Verdienst hat. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein Zusammenspiel von ökonomischen und psychologischen Faktoren die Hilfsbereitschaft beeinflusst“, resümiert der Wirtschaftswissenschaftler Dr. Hannes Rusch von der Philipps-Universität Marburg.

Den größten Einfluss auf die Bereitschaft zu helfen hatten die persönlichen Kosten, die für die Bürger entstanden. Persönlichkeitseigenschaften waren weitere Faktoren, die das Verhalten gegenüber Geflüchteten bestimmten: Bürger mit einer größeren prosozialen Orientierung und einer starken Empathiefähigkeit waren ebenso besonders hilfsbereit wie Personen mit einer eher linken politischen Orientierung. Die Hilfsbereitschaft stieg an, wenn Geflüchtete besonders hilfsbedürftig waren. Außerdem demonstrierten die Teilnehmer des Experiments, dass sie hilfsbereiter wurden, wenn die Geflüchteten ebenfalls die Arbeitsaufgabe absolvieren mussten, hierfür jedoch keine Bezahlung erhielten. Dieser Befund lässt die Wissenschaftler vermuten, dass Integrationsleistungen mit einer erhöhten Hilfsbereitschaft honoriert werden könnten.

Die aktuellen Befunde und weitere Ergebnisse aus zukünftiger Forschung mit dem neu entwickelten Entscheidungsspiel könnten dabei helfen, effektive politische Maßnahmen zu entwickeln, welche die negativen Reaktionen einiger Bürger gegenüber Geflüchteten zu reduzieren helfen. Damit würde eine erfolgreiche Integration unterstützt. Paul Van Lange, Professor für Sozialpsychologie an der Freien Universität Amsterdam und einer der Autoren des Artikels, schlägt vor: „Zur Stärkung der Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung muss es politische Maßnahmen geben, die es Geflüchteten ermöglichen, ihren aufrichtigen Integrationswillen zu zeigen. Zum Beispiel könnten individuelle Berichte über die Hintergründe ihrer Flucht sowie über ihre Integration die Hilfsbereitschaft fördern.“

Link zum Artikel: http://www.pnas.org/content/early/2018/06/19/1805601115