Alles rund um Aachen

Blickt man von der Burtscheider Brücke hinunter in Richtung Innenstadt, thront es majestätisch vor der historischen Kulisse Aachens: das Marschiertor. Doch derzeit geizt das beeindruckende Mauerwerk ein wenig mit seinen architekonischen Reizen. Grund ist ein gigantisches, rund 140 Tonnen schweres Gerüst, das das Tor momentan einhüllt. Denn die Handwerker sind dem Marschiertor sprichwörtlich aufs Dach gestiegen, um letzteres zu sanieren.

„Dringend notwendig“
„Die Erneuerung des Dachs ist dringend notwendig“, sagt Engelbert Chaumet vom städtischen Gebäudemanagement, der nun im Rahmen einer Pressekonferenz über den Stand der Arbeiten informierte. Der Projektleiter erklärt weiter: „Die Schieferdeckung ist so undicht, dass sie bei Regen hinterlaufen und die Schalung durchfeuchtet wird.“ Stürmt und schüttet es in Aachen, dann wackeln die Dachpfannen und das Wasser dringt ein. Damit der Dachstuhl, vor allem das riesige Tragwerk aus Holz, keinen weiteren Schaden nimmt, wird die gesamte Dachdeckung erneuert. Würde man nun nicht handeln, wird der hölzerne Dachstuhl mit der Zeit wegfaulen, sind sich die Experten einig. Das aufwendige Unterfangen wird vom  Aachener Büro Frey Architekten umgesetzt.
Albert Frey selbst sagt: „Die Dachsanierung des Marschiertores ist für uns ein einmaliges Projekt in seiner Größe und Wichtigkeit.“ Der Architekt hat bei der Besichtigung der imposanten Baustelle einen spannenden Gast eingeladen: Theodor Goll, 83 Jahre alt, und – wie er sich selbst nennt – „Ur-Öcher“, hat selbst sein gesamtes Berufsleben als Dachdecker gearbeitet. Und, das ist das Besondere, Goll stand mit seinen damaligen Kollegen im Sommer 1959 selbst auf der Spitze des Marschiertor, um das nach dem Krieg zerstörte Dach neu aufzubauen. Von Arbeitsschutzmaßnahmen wie im 21. Jahrhundert war vor fast 60 Jahren noch keine Rede. Goll musste in luftiger Höhe auf einem schmalen Holzbalken balancierend die Schieferplatten anbringen. Auf dem historischen Bild, das derzeit großflächig an der Marschiertor-Baustelle hängt, ist Goll in der Mitte nebst zwei Kollegen bei seiner Arbeit zu sehen. „Ich bin aus dem Staunen nicht mehr rausgekommen“, erzählt der rüstige Rentner von dem Moment, als ihm das erste Mal vor einigen Wochen auffiel, dass er selbst auf dem aktuellen Bauplakat zu sehen ist. „Angst kann man damals wie heute in diesem Beruf nicht brauchen“, erinnert er sich gerne an den außergewöhnlichen Arbeitsplatz vor langer Zeit auf dem Marschiertor zurück. „Wenn ich das hier nun sehe, diesen riesigen Gerüstaufbau und die Arbeiten am Dach, da kommen bei mir tolle Erinnerungen hoch“, erzählt Goll. Ob er dann auch nochmal – mit einem Aufzug versteht sich – auf das Dach steigen wolle, wird er gefragt? Goll lacht und winkt ab: „Ich steige heute nur noch ins Bett“, meint er mit einem Augenzwinkern, bevor er zahlreichen Presseleuten einige private Fotos von damals zeigt, als mutige Männer ohne eine Spur von Höhenangst auf Balken Aachens markantes Stadttor deckten.  
Heute sieht das natürlich gänzlich anders aus: Damit die Schiefer sicher aufgenagelt werden können, bringen die Dachdecker derzeit gut gesichert eine weitere Lage Schalung auf, die mit einer Unterdeckung versehen wird. Die Schlagläden der Dachgauben müssen ebenfalls repariert bzw. zum Teil erneuert werden, wie Engelbert Chaumet berichtet. „Sie erhalten selbstverständlich wieder den ochsenblutroten Anstrich, wie ihn die Aachener seit vielen Jahren kennen.“ Auch an den Dachrinnen und Fallrohren hat der Zahn der Zeit genagt. Sie werden im Rahmen der Sanierung ebenfalls ausgetauscht. Das hölzerne Dachgesims soll dagegen nach Möglichkeit „nur“ repariert werden. Insgesamt, berichtet Architekt Frey, werde eine Dachfläche von rund 850 Quadratmetern neu gedeckt. Dafür werden 40.000 bis 45.000 Schieferplatten benötigt.

Arbeiten in fast 50 Metern Höhe
Der denkmalgeschützte Bau, der von der Aachener Karnevalsgesellschaft Oecher Penn als Hauptquartier genutzt wird, ist in einem ersten Schritt im Frühjahr mit einem großen Gerüst ummantelt worden. Dieses ist notwendig, um alle arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen zu gewährleisten. Schwindelfrei sollten die Handwerker trotz alledem sein, die derzeit in fast 50 Metern Höhe arbeiten. Sie nutzen die komplizierte Stützkonstruktion, um in den kommenden Wochen und Monaten das Dach wieder mit den Schieferplatten zu decken. „Die Sanierung des Dachs kostet rund 860.000 Euro“, erzählt Chaumet. 200.000 Euro steuert dabei der Bund über ein Sonderprogramm zum Erhalt von denkmalgeschützten Gebäuden bei. „Wir gehen davon, dass die Arbeiten bis Weihnachten abgeschlossen sind.“
Auch das Mauerwerk im Blick
Dabei werfen die Experten nicht nur einen Blick auf das marode Dach. „Wir haben das Gerüst so errichten lassen, dass wir auch das Mauerwerk des Marschiertors begutachten können“, sagt Chaumet. Erste Prüfungen hätten dabei bereits ergeben, dass vor allem die Verfugung auf der Wetterseite in keinem guten Zustand mehr sei. „Auch einige Blausteingewände sind derart beschädigt, dass sie erneuert werden müssen“, so der Projektleiter weiter. Die erforderlichen Mittel hierfür werden aus dem Budget des Gebäudemanagements bereitgestellt.    
Erste urkundliche Erwähnung im Jahr 1320
Mit dem Bau des Marschiertores soll wahrscheinlich um 1300 begonnen worden sein. Neben dem Ponttor, Kölntor und Jakobstor gehörte es zu den vier Haupttoren der äußeren Aachener Stadtmauer, die bis zum 15. Jahrhundert errichtet wurde. Die erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 1320. Dabei haben spätere Ausgrabungen belegt, dass das Marschiertor, welches vormals auch Burtscheider Tor genannt wurde, auch über eine Vorburg verfügte wie sie es noch am Ponttor gibt. Sie ist vermutlich kurz nach dem Stadtbrand im 17. Jahrhundert niedergelegt worden.
Mitte des 19. Jahrhunderts, nachdem die Aachener Stadtmauer zum großen Teil abgetragen war, wurde in der Stadt sogar über den Abbruch des kompletten Marschiertors gestritten. Letztlich entschied man sich aber dafür, den markanten Bau zu erhalten. Die Restaurierung wurde 1894 abgeschlossen. Im Zweiten Weltkrieg dann erlitt das Marschiertor schwere Beschädigungen, der Dachstuhl wurde komplett zerstört und zunächst durch eine Notabdeckung mit Bitumenpappen gesichert. Ende der 1950er Jahre erhielt das Marschiertor schließlich den Dachstuhl in seiner heutigen Form als Holzkonstruktion. Auch Dank des wagemutigen Einsatzes von Theodor „Fred“ Goll und seinen einstigen Dachdecker-Kollegen.