RWTH

Wenn ein Druck auf die Fernbedienung des Fernsehers nicht unmittelbar den gewünschten Effekt hat, ist das ein unkritischer Fehler – auch wenn der leidenschaftliche Radsportler und RWTH-Professor Dr. Joost-Pieter Katoen die Lautstärke auf der Zielgeraden des Radrennens gerne erhöht hätte. Während sich die meisten Fernsehzuschauer vermutlich kaum Gedanken um dieses Manko der Fernbedienung machen, weiß der Aachener Informatiker sofort: Es wird sehr wahrscheinlich an einem Fehler der Software liegen, mit der Fernbedienung und Fernseher aufeinander reagieren. Hier ist das nicht unbedingt kritisch, da es ja nur um Fernsehen geht. Solche Mängel einer Software sind die seltene Regel, aber sie sind eben eine Regel. Und sie können in einem problematischen Umfeld auftreten: An Satelliten, in Kraftwerken oder künftig auch in selbstfahrenden Autos.

Katoen ist ein Experte, wenn es darum geht, Softwarefehler vorab zu identifizieren. Er zählt hierbei zu den wichtigsten Fachleuten Europas, sein gemeinsames Buch mit der Dresdenerin Christel Baier Buch „Principles of Model Checking“ ist das Standardwerk der Disziplin. Nun wurde ihm seitens des Europäischen Forschungsrates ERC - kurz für European Research Council - ein sogenannter Advanced Grant, die wichtigste Forschungsförderung in Europa zugesprochen. „Ich freue mich riesig“, sagt Katoen.

Der Europäische Forschungsrat fördert mit den Grants herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, um exzellente grundlagenorientierte und visionäre Projekte voranzutreiben sowie neue interdisziplinäre Wissensgebiete zu erschließen. Die Auszeichnungen gelten als europäisches Benchmark für Spitzenforschung. Es gibt die drei Kategorien Starting, Consolidator und Advanced Grants, sie sind an der Erfahrung der Personen orientiert. Gefördert wird herausragende sowie etablierte Forschung mit jeweils bis zu 3,5 Millionen Euro über maximal fünf Jahre. Katoen arbeitet am theoretischen Ende der Informatik, so seine Worte. Er hat im niederländischen Twente Informatik studiert und promoviert und war als Postdoc in Erlangen/Nürnberg einige Jahre tätig. Mit Algorithmen berechnet er Millionen, wenn nicht gar Milliarden Zustände. Die Algorithmen werden in Tools als unsichtbare Werkzeuge realisiert. Das sind Softwarewerkzeuge von Hunderttausenden Zeilen Software-Codes, in denen 20-Personen-Jahre Arbeit stecken. Für manchen Softwareverwender sind sie Rettungsanker. Für die Europäische Raumfahrtbehörde ESA erforscht Katoen die Zuverlässigkeit von Software, ebenso für namhafte Automobilhersteller oder Konzerne wie Siemens.

Die Frage, die ihn umtreibt, lautet immer: Können wir nicht vorhersehen, ob und wann ein Fehler auftreten kann? Dabei sind die Rahmenbedingungen zunehmend erschwert, denn Software wird immer komplexer. Milliarden Zustände müssen schnellstmöglich durchgerechnet werden. Es ist eine Arbeit bis hin zur mathematischen Unendlichkeit. Das Bild von der Nadel, die im Heuhaufen gesucht werden muss, liegt nahe – und Katoen nennt es auch. „Für uns ist das Sport“, meint Katoen. Und es braucht dafür die Ausdauer und Disziplin eines Rennradfahrers.

Und was nutzt das Wissen um mögliche Fehler? Es können Redundanzen ins System eingebaut werden, die einsetzen, wenn ein Fehler auftritt. Wenn ein Fehler zu einem Ausfall eines Prozessors an einem Satelliten führt, dann kann ein zweiter sofort die Arbeit aufnehmen. Katoen hat als Rennradfahrer auf Touren auch immer zwei Ersatzschläuche für die Reifen dabei. Ein Plattfuß ist ebenfalls nur schwer vorhersehbar.

Katoens Ausdauer und Disziplin zahlen sich nun auch mit dem ERC Advanced Grant aus. Eine seltene Ehre: 2017 wurden 2166 Anträge für einen Advanced Grant eingereicht, etwa zehn Prozent wurden akzeptiert. An der RWTH Aachen wurden seit 2010 zehn Wissenschaftler mit einem Advanced Grant gefördert. Hinzu kommen fünf mit einem Consolidator und 18 mit einem Starting Grant.

So ist Dr. Dominik Schillinger gegenwärtig als Assistent Professor an der University of Minnesota. Er erhielt im Rahmen der Ausschreibung mit der RWTH Aachen als Host Institution einen Starting Grant für sein Projekt „ImageToSim“ mit einer Fördersumme von 1,6 Millionen Euro. Sein Projekt wird im August 2018 am Institut von RWTH-Professor Marek Behr starten. Schillinger ist überzeugt, dass die virtuelle Simulation die Technik der Zukunft beispielsweise in der Medizin ist, um für jeden Patienten individuelle zuverlässige Diagnosen und optimale Behandlungsvarianten zu finden. Dafür erforscht er eine neue Generation von Simulationstools, die direkt auf patientenspezifischen CT-Daten arbeiten und damit automatisiert in Krankenhäusern eingesetzt werden können.  Er hat neben dem ERC Starting Grant auch eine Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe einwerben können.

„Das Gefühl, einen ERC Grant einzuwerben, ist wohl mit dem vergleichbar, bei Olympischen Spielen eine Goldmedaille zu gewinnen“, sagt Joost-Peter Katoen. Auf seinem Gebiet werden gerade mal ein Dutzend Professoren auf diesem Wege gefördert. 43 Wissenschaftler sind es diesmal insgesamt an deutschen Hochschulen. Für seinen Antrag mit dem Titel „FRAPPANT Formal Reasoning about Probalistic Programs: Breaking new ground for Automation“ hat sich Katoen ein Forschungssemester genommen. In dieser Zeit war er als Gastprofessor am Institute of Science and Technology Austria in Klosterneuburg tätig. Drei Entwürfe landeten im Papierkorb. „Ich bin immer kritisch und vor allem auch selbstkritisch“, sagt der 53-Jährige. Die Anerkennung gelte nun seinem gesamten Team. „Ich sitze zwar am Steuer, aber ohne das Team als Motor komme ich nicht vorwärts“, betont er. 2,5 Millionen Euro werden ihm nun zuteil, er wird sein Team verstärken können und die Ausstattung modernisieren. Dann könne er signifikante Fortschritte in seiner Forschung unabhängig von eingeworbenen Drittmitteln erzielen. Etwa bei solchen neuartigen Programmen, deren nächste Schritte, weil sie sozusagen gewürfelt werden, eigentlich nicht vorhersehbar sind. „Es ist eigentlich unmöglich, aber wir versuchen es trotzdem, sie zu checken“, betont Katoen.

Autor: Thorsten Karbach