RWTH

In einem weltweit übertragenen Seminar stellten heute die beiden großen Teilchenphysik-Experimente ATLAS und CMS am europäischen Forschungszentrum für Elementarteilchenphysik CERN in Genf ihre neuesten Ergebnisse zur Suche nach dem Higgs-Teilchen vor. Drei Institute der RWTH Aachen sind daran beteiligt.

Die Experimente untersuchen die Reaktionen, die durch die Kollisionen von Protonen höchster Energien im Large Hadron Collider (LHC) ausgelöst werden. Bei einer Masse von etwa 125 GeV/c2 (Giga-Elektronvolt) sehen beide Experimente Evidenz für ein neues Teilchen, dass das lange gesuchte Higgs-Teilchen sein könnte. Mittlerweile kann ausgeschlossen werden, dass die beobachteten Ereignisse auf statistische Fluktuationen des Untergrunds zurückgehen. Die entsprechende Wahrscheinlichkeit ist in beiden Experimenten kleiner als eins zu einer Million. Das gefundene Teilchen wird insbesondere über Zerfälle in zwei Photonen und zwei Z-Bosonen nachgewiesen.

Es spricht manches dafür, dass es sich um das Higgs-Teilchen handelt. „Erst nach weiteren Untersuchungen können wir entscheiden, ob es sich tatsächlich um den noch fehlenden Baustein des Standardmodells handelt oder ob wir etwas gänzlich Unerwartetes gefunden haben. Beides wären große Entdeckungen“, so Univ.-Prof. Dr. rer.nat. Achim Stahl, Inhaber des Lehrstuhls für Experimentalphysik IIIB der RWTH Aachen. Das Projekt des Large Hadron Collider und seine Experimente wurden 1990 in einem international vielbeachteten Workshop in Aachen aus der Taufe gehoben.

In den vergangenen Jahrzehnten haben Physiker ein Modell entwickelt, das die Bausteine der Materie und ihre Kräfte hervorragend beschreibt. Es wird heute das Standardmodell der Teilchenphysik genannt. Allerdings hat dieses Modell eine Schwachstelle: Austauschteilchen wie das Photon, die die Kräfte vermitteln, müssen masselos sein. Während dies auf das Photon zutrifft, sind die Kraftteilchen der schwachen Wechselwirkung schwerer als Atome – also Schwergewichte in den Maßstäben der Elementarteilchenphysik. Um diesen Widerspruch aufzulösen, führten Peter Higgs und andere 1964 ein neues Konzept ein. Wenn dieses Konzept korrekt ist, müsste es ein bisher noch nicht entdecktes Teilchen geben, das heute „Higgs-Teilchen“ genannt wird. Nach ihm wird seither intensiv gesucht. 

Die RWTH-Wissenschaftler haben maßgeblichen Anteil an der jetzigen Entdeckung. Sie haben das Projekt mit geplant, die Technologien entwickelt und Teile des  hochauflösenden Silizium-Spurdetektors und der Myonkammern in Aachen gebaut. Mit dem Spurdetektor werden die Impulse geladener Teilchen vermessen, mit den Myonkammern identifiziert man die Myonen als schwere Elektronen unter der Vielzahl erzeugter Teilchen. Beide Komponenten sind von entscheidender Bedeutung für den Nachweis des Higgs-Bosons. In den letzten Jahren lag der Fokus auf der Auswertung der Daten, die jetzt zur Evidenz für das neue Teilchen geführt haben. Ein weiterer Schwerpunkt in Aachen ist das Computing. Hier entstand ein wichtiger Knoten im weltweiten Computing-Grid der Teilchenphysik.

Die Beteiligung der deutschen Gruppen am Compact Muon Solenoid - kurz CMS-Experiment genannt - wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Forschungsschwerpunkt FSP-102 "Elementarteilchenphysik mit dem CMS-Experiment" schon seit vielen Jahren gefördert. Zum Forschungsschwerpunkt gehören neben den Physikalischen Institute IB, IIIA und IIIB der RWTH Aachen das Institut für Experimentelle Kernphysik des Karlsruher Instituts für Technologie, das Institut für Experimentalphysik der Universität Hamburg und das Forschungszentrum Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY. Sprecher des Forschungsschwerpunkts ist der Aachener Physiker Achim Stahl.