RWTH

Professor Martin Baumann vom Institut für Angewandte Medizintechnik prüft seine Studierenden besonders praxisnah. Diese Prüfungsform nennt sich OSPE (Objective Structured Practical Examination) – in der Medizin längst etabliert, in MINT-Fächern jedoch noch eine Seltenheit.

Wer einen Blick in die Lehrveranstaltung von Professor Martin Baumann wirft, den erwartet oft nicht das gewohnte Bild eines Dozenten, der seinen Studierenden etwas anhand einer Folie erklärt. Stattdessen lässt sich der Elektrotechniker und gelernte Physiologe von einem freiwilligen Studierenden mit einem kleinen Hammer auf sein Knie schlagen. Anschaulich erarbeitet er mit seinen Zuhörenden im Anschluss den Ablauf des dadurch ausgelösten Reflexes und stellt Bezüge zur Gesamtphysiologie des Menschen her.

„Ich halte viel vom Lernen mit allen Sinnen“, erklärt der RWTH-Forscher. Das erworbene Wissen fragen Professor Baumann und seine Doktorandin Lisa Rieckmann deshalb gegen Ende des Sommersemesters nicht allein in einer Klausur ab. Die Studierenden absolvieren praktische Prüfungen an fünf verschiedenen Stationen – ähnlich wie beim Zirkeltraining im Sport. OSPE ist in der medizinischen Fakultät fest etabliert, im MINT-Bereich aber nahezu unbekannt.

Eine Prüfungssituation kann wie folgt aussehen: Die Studierenden haben einen Schauspieler als Patienten vor sich, der als medizinischer Laie offensichtlich verängstigt ist. Die Aufgabe besteht für die Prüflinge darin, sich in den anderen hineinzuversetzen und empathisch auf ihn einzugehen, während sie ihm eine Fehlfunktion seines Herzens erklären. Neben den fachlichen Kompetenzen werden also auch kommunikative Fähigkeiten geprüft. „Im besten Fall macht das den Studierenden sogar Spaß“, sagt Lisa Rieckmann. Die Humanbiologin rechnet aktuell mit rund 80 Prüflingen, die Ende August erstmalig die einzelnen Stationen durchlaufen.

Die zukünftigen Ingenieurinnen und Ingenieure sollen in diesen realitätsnahen Szenarien lernen, sich in Menschen hineinzuversetzen – eine essenzielle Fähigkeit für ihr späteres Berufsleben. „Wir wollen den Studierenden helfen, ihre Scheuklappen abzunehmen: Sie sollen sich eben nicht nur auf ihren eigenen Fachbereich konzentrieren, sondern lernen, disziplinübergreifend zusammenzuarbeiten“, sagt Professor Baumann. Oft scheitert es in der interdisziplinären Zusammenarbeit an der Kommunikation: „Die Leute sitzen im selben Raum, sprechen die gleiche Sprache – und verstehen sich dennoch nicht“, erklärt der Wissenschaftler. Die Studierenden sollen außerdem lernen, Probleme zu erkennen und Lösungen zu entwickeln. Auch ihre Entscheidungsfähigkeit soll bei den praxisnahen Prüfungen getestet werden.

An jeder Station bewertet ein Prüfer die Studierenden anhand von Checklisten zu ihrem gezeigten Wissen und den praktischen und kommunikativen Fähigkeiten. Die etwa 15 Prüferinnen und Prüfer werden vorab geschult, um diese Bewertungen objektiv vornehmen zu können.

Mitte April stellen Professor Baumann und Lisa Rieckmann ihren MINT-Studierenden das Konzept dieser neuen Prüfungsform vor. Während der interaktiven Demonstration im Hörsaal dürfen die zukünftigen Prüflinge selbst in die Prüferrolle schlüpfen. So bekommen sie ein Gefühl dafür, was sie in der realen Situation erwartet.

Die Stiftung für Innovation in der Hochschullehre (StiL) fördert das Projekt für zwei Jahre. Die Prüfung wird von Professor Baumann und Lisa Rieckmann auf der Basis von wissenschaftlichen Studien in Kooperation mit Dr. Malte Persike vom Center für Lehr- und Lernservices (CLS) der RWTH ausgewertet. Unterstützung erhalten sie vom Studiendekanat der Uniklinik RWTH Aachen, das über langjährige Erfahrung in der Organisation von OSPEs für Medizinstudierende verfügt.