Alles rund um Aachen

In der Runde am großen Tisch gibt es duftenden Kräutertee, herzliche Worte, freundliche Fragen und ganz besonders: verständnisvolles Zuhören und Nachspüren, denn es geht um Schicksale, die stets eine berührende Geschichte haben. Der Sozialdienst der Stadt Aachen ist aktuell gemeinsam mit der WABe-Frauenfachberatungsstelle und deren Netzwerk Frauen & Wohnen ist in einem vielschichtigen Projekt aktiv, das seit Mitte des Jahres auch eine „Clearing-Wohnung für Frauen" in Aachen bietet.

In den Räumen der Beratungsstelle können Frauen das Internet benutzen, andere treffen, Zeitung lesen und ausruhen. Aber nicht nur das. Hier sorgen Susanne Schulte von der Frauenfachberatung und Anja Esser vom EHAP Projekt für erste Kontaktaufnahme und professionelle Begleitung, die ein großes Ziel hat – Frauen aus der Not zurück in ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Finanziert wird das gemeinsame Projekt durch den Europäischen Hilfsfond für benachteiligte Personengruppen (kurz: EHAP). Unter dem Motto „Auffallen – WABe-Netzwerk Frauen und Wohnen" will man den in Aachen, Stolberg und Eschweiler von Wohnungslosigkeit betroffenen und bedrohten Frauen in Kooperation mit den jeweiligen Kommunen dabei helfen, ihre Situation zu verbessern.

Gesprächsrunde mit Maria
In einer Gesprächsrunde trafen sich jetzt Özlem Vuran, Teamleiterin Sozialdienst/Übergangswohnheime Stadt Aachen, Nadia Volz-Lalee, Koordinatorin des Projektes, Susanne Schulte, Leiterin der WABe Frauenfachberatung und Anja Esser, Mitarbeiterin des EHAP Projektes und betreuende Sozialarbeiterin der Clearing-Wohnung. Gast in der Runde ist diesmal Maria, eine von vielen ehemals wohnungslosen Frauen. Die 68jährige hat lange Jahre gearbeitet, hat sogar einen akademischen Abschluss, war allerdings nicht gut abgesichert, konnte sich im Rentenalter ihre Wohnung nicht mehr leisten und wurde wohnungslos. Sie kam bei einem Bekannten unter. „Damit war ich von ihm abhängig, das hat er mich mehr und mehr spüren lassen. In meinem Fall war es psychischer Terror", berichtet sie.

Eine sichere und geschützte Wohnmöglichkeit
Aufgrund der psychischen Überlastung, die sich auch körperlich äußerte, kam Maria ins Luisenhospital. Die dortige Sozialarbeiterin stellte fest, dass eine Rückkehr ins alte Leben undenkbar ist, und sorgte für den Kontakt mit der Beratungsstelle. Hier hörte man nicht nur zu. Seit Anfang des Jahres stand fest, dass in einem städtischen Objekt eine Wohnung mietfrei zur Verfügung stehen kann. „Eine sichere und geschützte Wohnmöglichkeit für bis zu vier Frauen, die hier übergangsweise leben können, bis eine Perspektive erarbeitet wurde", erklärt Anja Esser. Maria war eine der ersten Frauen, die hier einzog und sich zunächst von der körperlichen und psychischen Not erholte. Beim „Sortieren" ihres Lebens wurde sie von Anja Esser intensiv unterstützt, beraten und begleitet. Die sensible Unterstützung auf Augenhöhe tat ihr gut. „Ich hatte plötzlich wieder Hoffnung", formuliert sie.

„Frauen leiden häufig unbemerkt", weiß Susanne Schulte aus ungezählten Gesprächen. „Sie pflegen sich lange mit erstaunlichem Geschick, sorgen für saubere Kleidung, selbst dann noch, wenn sie keine feste Bleibe mehr haben."
Wie kann das geschehen? Sehr schnell, nicken alle. Die Gründe für die Wohnungslosigkeit sind vielfältig, die Lebenswelt der ratsuchenden Frauen enorm komplex. Praktische Auslöser für die akute Not und Wohnungslosigkeit können Räumung, Loslösung vom problembelasteten Elternhaus, Armut, Arbeitslosigkeit, Abhängigkeitsverhältnisse, Altersarmmut, Entlassung aus stationären Einrichtungen, Übergangssituationen oder Trennung vom / von der Partner*in sein.

Geschlechtsspezifische Probleme
Häufig haben die Betroffenen weder Geld noch Job, oft nicht mal eine Ausbildung, weil sie noch jung sind. Sie kennen sich nicht aus, sprechen manchmal nicht besonders gut Deutsch und haben Angst, sich den Behörden anzuvertrauen.
Neben diesen geschlechtsspezifischen Problemen sind die Frauen der Clearing-Wohnung oft von Faktoren betroffen, die auch die Männer kennen: Flucht, Arbeitslosigkeit und zum Beispiel Armut.

Der sehr angespannte Wohnungsmarkt stellt so ziemlich alle Betroffene von Wohnungslosigkeit vor enorme Hürden. „Wer hierherkommt, braucht zunächst einmal Ruhe, muss durchatmen", betont Nadia Volz-Lalee. Susanne Schulte führt nach langen Jahren bei WABe aus: „Die Wohnungslosenhilfe der Kommunen ist stärker auf Männer ausgerichtet als auf Frauen, weil wesentlich mehr Männer als Frauen sichtbar wohnungslos sind und sich in den entsprechenden Einrichtungen aufhalten.

Wärmestuben, Notschlafstellen oder andere Angebote werden von vielen Frauen nicht gern angenommen. Sie möchten allein schon aus Scham nicht zur Szene der Wohnungslosen gehören und sind oft mit Behördenangelegenheiten überfordert. Anträge werden aus Unkenntnis nicht gestellt. „Selbst, wenn im Internet Beratung angeboten wird, erreicht das viele von ihnen nicht." Der Begriff „Clearing" ist bewusst gewählt. Hier wird „klargestellt" wie die jeweilige Situation ist, welche Leistungen jemand erhalten kann. „Wir holen sie dort ab, wo sie stehen", sagt Anja Esser, die weiß, wie behutsam sie dabei vorgehen muss.

Unterstützung bei existenzsichernden Maßnahmen
Aufgenommen werden können Frauen, auch mit Kindern, die akut wohnungslos sind und nicht wissen, wo sie übernachten können. Die Frauen, die in der Clearingwohnung vorübergehend eine Unterkunft finden, haben in der Regel ihre gesamte Existenz verloren und sind oft völlig mittellos. Anja Esser unterstützt und berät die Frauen bei allen anstehenden existenzsichernden Maßnahmen. Meistens müssen zunächst diverse Anträge gestellt werden, um finanzielle Mittel zu erhalten und wieder mit Geld am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen zu können. Den Wohnberechtigungsschein, den verlorenen oder abgelaufenen Ausweis, den aktuellen Aufenthaltstitel, vieles muss neu beantragt werden. Die Bearbeitung dieser Anträge dauert oft lange, sind aber Voraussetzung, um dann eine neue geeignete Unterkunft suchen zu können.

Geholfen wird auch bei der Wohnungssuche und den notwendigen Anträgen zur Ausstattung. Dabei geht es nie darum, den betroffenen Frauen die Arbeit abzunehmen, sondern vorhandene Fähigkeiten wieder zu aktivieren, Eigeninitiative zu entwickeln, Erlebtes zu verarbeiten und das Heft wieder in die eigenen Hände zu nehmen.

Die Dunkelziffer ist hoch
Wie viele Frauen sind betroffen? Seit dem Start der ersten Förderphase des EHAP Projektes im Jahr 2019 bis jetzt wurden in Aachen, Stolberg und Eschweiler insgesamt 320 wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Frauen erfasst. Aber die Dunkelziffer der tatsächlich betroffenen verdeckt wohnungslosen Frauen ist hoch.

Alle Beteiligten wünschen sich eine Fortführung des Projekts. Ziel ist es, das EHAP-Projekt, das Ende 2021 ausläuft, langfristig in das Hilfsangebot von Stadt und WABe einzubinden, dafür Ressourcen zu finden. Eine Verlängerung für 2022 ist beantragt, aber noch nicht sicher. Fest steht für das engagierte Netzwerk, dass man die erfolgreich begonnene Arbeit im Sinne der Frauen weiterführen will und muss. Aktuell gehen entsprechende Anträge in die zuständigen Ausschüsse und betreiben alle Informationsarbeit sowie Aufklärung über eine versteckt wachsende Not.
Kontakt:
Anja Esser und Susanne Schulte, Frauenfachberatung, Franzstraße 107, 52064 Aachen, Telefon: 0241 511063, offene Sprechstunde montags bis freitags 9-12 Uhr, Email: anja.esser@wabe-aachen.de und / oder susanne.schulte@wabe-aachen.de .

Özlem Vuran, Fachbereich Wohnen, Soziales und Integration, Verwaltungsgebäude Hackländerstraße 1, 52058 Aachen, Telefon: 0241 432 56570, E-Mail: oezlem.vuran@mail.aachen.de.