FH Aachen

Es ist mit das Schlimmste, was auf einem Schiff passieren kann: „Mensch über Bord!“ Für diesen Fall gelten strenge Verhaltensregeln und schnelles Handeln ist gefragt. Die verunglückte Person wird nicht aus den Augen gelassen, es werden Rettungsringe und andere schwimmfähige Gegenstände ins Wasser geworfen. Während das Schiff ein Wendemanöver vollzieht, bleiben Arme und Augen aller an Deck immer in Richtung des Schiffbrüchigen gerichtet. Das ist wichtig, denn gerät die Person erst außer Sicht, ist eine Rettung nahezu unmöglich

.Der Grund: Bis heute gibt es zwar mehrere Anbieter von Geräten, um in Seenot geratene Personen oder Rettungsboote wiederzufinden, sie sind jedoch sehr groß und teuer. „Dreihundert Euro und mehr muss man für die bisher verfügbaren Geräte schon ausgeben“, erklärt Prof. Dr. Holger Heuermann von der FH Aachen und ergänzt: „Sie müssten von jedem Besatzungsmitglied stets aufgeladen bei sich getragen werden.“ Doch oft befänden sich nur einige wenige Geräte an Bord, die im Notfall einer Person im Wasser hinterhergeworfen oder mit in ein Rettungsboot genommen werden – wenn die Zeit reicht. SEERAD soll diesen Umstand ändern. Gemeinsam entwickelten FH Aachen, das Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik (FHR) und die Raytheon Anschütz GmbH in einem dreijährigen Forschungsprojekt ein neuartiges Harmonic-Radar-System. Herkömmliche Radarsysteme können eine im Wasser befindliche Person nicht störungsfrei erkennen, da sie sich kaum von der Wasseroberfläche abhebt und die Wellen das Radarsignal stark reflektieren. „Die Menschen verschwinden im sogenannten Clutter der Wellen und sind auf dem Radar einfach nicht mehr zu sehen“, erklärt Dr. Carsten Reiter, Spezialist für Radarentwicklung bei Raytheon Anschütz.

Nun wurden die Ergebnisse des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojekts an der Ostsee vorgestellt. In der Eckernförder Bucht präsentierten die Entwicklerinnen und Entwickler einen Prototyp des Systems, das aus zwei Komponenten besteht. Spezielle Transponder (Tags), die leicht an Schwimmwesten oder der Kleidung befestigt werden können und ohne Akkus funktionieren, spiegeln ein vom Schiffsradar ausgesendetes Signal mit doppelter Frequenz zurück. „Das Besondere hierbei ist, dass die Frequenz der Radarsignale, die auf den Tag treffen, in eine andere Frequenz umgewandelt wird“, erklärt Prof. Heuermann, der das Institut für Mikrowellen- und Plasmatechnik (IMP) der FH Aachen leitet. „Das Basissignal wird vom Schiff ausgestrahlt und liegt bei drei Gigahertz, das Antwortsignal hingegen bei sechs Gigahertz.“ Mithilfe dieser speziellen, von den Forschern entwickelten Multifrequenztechnik können allerkleinste Antwortsignale genau analysiert werden. Nicht nur Überlagerungen mit anderen Radaranlagen werden vermieden, sondern auch die Entfernung zur schiffbrüchigen Person soll auf eine Distanz von rund 10 Kilometern präzise gemessen werden können.

„Damit das funktioniert, brauchen wir jedoch ein verändertes Schiffsradar“, erklärt Dr. Thomas Bertuch vom FHR. Gemeinsam mit seinem Team entwickelte und baute er die passende Antenne. „Unser Radar ist mit einer neuartigen Multibandantenne ausgestattet und kann sowohl das Drei-Gigahertz-Signal aussenden als auch das vom Tag gespiegelte Sechs-Gigahertz-Signal empfangen“, so Dr. Bertuch weiter. Um die Anwendbarkeit von SEERAD zu demonstrieren, wurden an der Ostsee mehrere Rettungsexperimente durchgeführt. Es gelang den Forschern, einen Schiffbrüchigen – in dem Fall einen Dummy – auch auf große Distanzen auf dem Radarbild sichtbar zu machen. „Wir haben bei den Messungen aus nur sieben Meter Höhe und bis zum Sichthorizont sogar einen neuen Weltrekord aufgestellt“, freut sich Prof. Heuermann. Den Wissenschaftlern gelang es, den mit dem Tag markierten Dummy auf eine Distanz von 6 Kilometern mit einer Sendeleistung von nur 100 Watt zu orten. Bisher war das mit einem Harmonic Radar lediglich auf rund einem Kilometer Entfernung bei einer Sendeleistung von 1000 Watt gelungen. „Wir haben die sechsfache Entfernung geschafft und noch dazu mit nur einem Zehntel der Sendeleistung“, so Prof. Heuermann.

Die beteiligten Projektpartner und der Projektträger zeigen sich mit den erzielten Ergebnissen und den gewonnenen Erkenntnissen der gemeinsamen Forschungsarbeit sehr zufrieden. „Es ist möglich, dass das Harmonic Radar zum Standard in der Seenotrettung und ein Bestandteil der Fernerkundung in der zivilen Schifffahrt wird“, so Dr. Bertuch. „Mit unserer Forschungsarbeit haben wir die Machbarkeit eines praktikablen und kostengünstigen Seenotrettungssystems nachgewiesen“, ergänzt Prof. Heuermann. 

Prof. Dr. Marcus Baumann, Rektor der FH Aachen, freut sich über die Ergebnisse der gemeinsamen Forschung: „Die Arbeit von Prof. Heuermann und seinen Kollegen zeigt, wie mit der Adaption von bewährten Technologien große Ergebnisse erzielt werden können – das ist wahrer Erfindergeist.“ Die Kooperation zur gemeinsamen Entwicklung von SEERAD sei beispielhaft für die anwendungsorientierte Forschung im Schulterschluss mit der Wirtschaft.