Stolberg

Im Jahr 2019 präsentiert das Stadtarchiv Stolberg monatlich als „Archivale des Monats" eine der Stiftungen der Bürgerinnen und Bürger der Kupferstadt, die von 2016 bis 2018 abgegeben wurden. Zwölf historische ‚Schätzchen' sollen unterschiedliche Einblicke in die Stadtgeschichte geben und stellvertretend allen Stifterinnen und Stiftern als Dank für ihre vielfältige Unterstützung gelten.

Seine Majestät der König haben (...) nach dem Überstehen schwerer Übel (...) anzuordnen geruht..." heißt es im ersten Satz dieses Dokuments. Auf einem Dachboden gefunden, war es das erste historische Stück, das der Stolberger Stadtarchivar im Januar 2016 von einer Bürgerin der Kupferstadt in Empfang nahm.

Absender ist Johann Peter Adolf Schriever für das Königlich-Rheinische Konsistorium mit Sitz in Koblenz. Die Stadt war von 1822 bis 1946 Hauptstadt der Rheinprovinz, zu der auch Stolberg gehörte. Das Konsistorium war die Kirchenaufsichtsbehörde des preußischen Staates und der namentlich nicht genannte König war Friedrich Wilhelm III.  von Preußen, gleichzeitig auch Oberhaupt der Unierten evangelischen Kirche Preußens. Die „Allerhöchste Kabinetts-Order" an den Superintendenten Grünwald für die Kreissynode in Aachen ruft auf, dass „der Dank gegen die Vorsehung die erste Pflicht sein müsse" und „daß an allen Orten, wo die Cholera aufgehört hat, die Feier des Gottesdienstes durch ein abzusingendes Te Deum erhöht werde."

Seit dem frühen 19. Jahrhundert hatte sich die oft tödlich verlaufende, bakterielle Erkrankung in Europa ausgebreitet. Kurz zuvor erreichte sie pandemische Ausmaße und wütete 1831 erstmals umfassend in Deutschland. Tausende Menschen fielen der Cholera vor allem in den Großstädten zum Opfer, darunter in Berlin der Philosoph Georg Friedrich Hegel oder auch der preußische Heeresreformer Carl von Clausewitz. Eine Pandemie in Stolberg ist nicht überliefert. Ursache für die Ausbreitung war durch Abwasser verunreinigtes Trinkwasser, was vor allem in größeren Städten vermehrt problematisch geworden war. 1833 starben in Stolberg jedoch etwa 300 Menschen an der Malaria, die in Europa vor allem in Orten mit offenen und stehenden Gewässern Verbreitung fand. Hier waren die vielen Mühlgräben der Entstehungsort für die oftmals tödliche Erkrankung. Wien war 1873 zur großen Weltausstellung heftig von einem Cholera-Ausbruch getroffen worden und Hamburg 1892 Schauplatz der letzten europäischen Pandemie einer Seuche, die bis heute in Asien, Afrika und Südamerika viele Opfer fordert.

Das Dokument ist in musterhafter, deutscher Kurrentschrift verfasst, weshalb es regelmäßig als Transkriptionsübung für Archiv-Praktikanten genutzt wird, die daran zudem die Analyse und Recherche von historischen Informationen kennenlernen können. Typisch ist, dass Eigennamen wie der lateinische Titel des Kirchenliedes ‚Te Deum' parallel zur deutschen Schreibschrift in lateinischer abgefasst sind. Das übersetzt ‚Dich, Gott, loben wir' genannte Lied ist seit dem frühen Mittelalter vor allem auch für Dankgottesdienste in Gebrauch. Natürlich sollte es erst „nach vorgängigem Vernehmen mit der Sanitäts-Behörde des Ortes" „abgesungen" werden. Sobald also das ‚Gesundheitsamt' das Ende der Pandemie bestätigte.

Das Archivale enthält viele Verweise auf die staatliche und kirchliche Verwaltung, die wesentlich sind, um historische Zusammenhänge verstehen und erforschen zu können. Nicht anders als im heutigen Verwaltungsalltag ist das Dokument eine Vervielfältigung, die der Superintendent in Aachen der Verfügung entsprechend „in Circulation bey der Kreis-Synode" setzte, das heißt im Umlauf jedem Geistlichen im Landkreis Aachen zukommen ließ.

Ob in Stolberg nun entsprechend „eine angemessene kirchliche Dankfeierlichkeit" in der Finkenberg- und/oder Vogelsangkirche durch die Pfarrer Ludwig van Alpen bzw. Wilhelm Nesselrath abgehalten wurde, ist fraglich. 1832 war die Cholera in und um Aachen ausgebrochen, forderte Hunderte Opfer und zog regional zahlreiche karitative Maßnahmen nach sich. Sie war die große Seuche ihrer Zeit, die die Gesellschaft heftig traf. In Stolberg schlug sie 1866 zu und traf auch Orte wie Vicht und Venwegen. Die Pest trat in Europa seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr auf, aber Cholera und Malaria waren Erkrankungen, die erst mit dem Aufkommen der Antibiotika einhundert Jahre später wirksam bekämpft werden konnten, während die Pockenepidemien im 19. Jahrhundert durch das Verfahren der Impfung erfolgreich zurückgedrängt wurden.

Das Stadtarchiv beherbergt und sammelt als Historisches Kompetenzzentrum und ‚Gedächtnis der Stadt' Akten, Urkunden, Bilder, Bücher, Zeitungen, Nachlässe und andere Sammlungen der Stadtgeschichte. Historische Unterlagen aus allen Stadtteilen stehen dort interessierten Bürgern für Forschung, Wissenschaft und Bildungsarbeit zur Verfügung.