Stolberg

Zum 900jährigen Jubiläum der Kupferstadt Stolberg präsentiert das Stadtarchiv monatlich ein Archivale aus einem Stadtteil. Von A wie Atsch bis Z wie Zweifall werden in dreizehn Folgen Stadtteilgeschichten erzählt und Illustriert mit Annoncen aus dem ‚Stolberger Generalanzeiger' von 1898. Im Kriegsjahr 1943 rückte die Dreilägerbachtalsperre in den Fokus der Überlegungen des Luftschutzes des NS-Regimes. Die bei Roetgen gelegene Talsperre war als Risiko für die Anwohner der Ortschaften an der Vicht erkannt worden. Die Akte GR 512 der Gressenicher Gemeindeverwaltung beinhaltet Unterlagen zum Luftschutz in Vicht, das die einzige bedrohte Talsiedlung der damaligen Gemeinde war.

Das Archivale des Monats ist ein Dokument betreffend „Durchführung einer Alarmübung", die am 31. August 1943 stattfand. Geprobt wurde die Alarmierung bei einer möglichen Zerstörung der Staumauer, die binnen Minuten eine katastrophale Überflutung des Vichttales verursacht hätte.

Die tragische Vorgeschichte zu den Maßnahmen in Vicht war die Zerstörung der Möhnetalsperre bei Soest durch einen gezielten britischen Luftangriff am 16./17. Mai 1943. Man war relativ unvorbereitet, da die NS-Führung frühere, eindringliche Warnungen völlig ignoriert hatte. Ergebnis war die ‚Möhnekatastrophe' mit über 1300 Todesopfern, darunter mehr als eintausend Zwangsarbeiter. Wie zuvor das Risiko, wurde nun vom Regime die Katastrophe heruntergespielt und die Fakten vor der Bevölkerung verschleiert.

Aber man hatte doch etwas daraus gelernt und an den gefährdeten Standorten von Stauseen Vorkehrungen zur Evakuierung bei „Wassergefahr", wie man es nannte, getroffen. Vichter Einwohner wurden neben der bereits bestehenden Alarmierungskette bei Luftangriffen als „Warn-„ und „Glockenposten" herangezogen. Nach der „Durchgabe des Stichwortes ‚Dammbruch'" wurden beim Probealarm in Vicht planmäßig die Kirchenglocken und eine weitere in Vicht-Jägersfahrt angebrachte Glocke geläutet. Im Ernstfall hätte die Bevölkerung und im Ort untergebrachte Zwangsarbeiter in vorbereitete Notunterkünfte flüchten sollen, jedenfalls sollte die Flutzone planmäßig verlassen werden. Ein Höchstwasserstand von zehn Metern wurde in Vicht erwartet. Aber erst im April 1944 wurden die erforderlichen Schilder mit der Aufschrift „Flutgrenze", die den gefährdeten Bereich anzeigten, bei einem Stolberger Betrieb Auftrag gegebenen. Die benötigten Pfähle und Stangen waren beschlagnahmt worden.

Die Übung ergab, wie im letzten Satz der Meldung des Bürgermeisters, der in Mausbach seinen Dienstsitz hatte, dass die „Verständigung mit der Warnstelle in Roetgen [...] außerordentlich schlecht" war. Bei einer weiteren Alarmübung am 18. Februar 1944 war dieser gefährliche Missstand noch immer nicht behoben. Von einer funktionierenden Alarmierung hingen nicht nur Leben in Vicht, sondern auch in Mulartshütte, der damals selbständigen Gemeinde Zweifall und in Stolberg ab. Auch hier waren natürlich Vorkehrungen getroffen worden. Zäune und Hecken mussten in Vicht mit Durchlässen versehen werden, damit die Einwohner die Höhenlagen jenseits des Talgrundes erreichen konnten. Im Stolberger Gymnasium fand im Februar 1944 ein „Planspiel" statt. Der Aachener Regierungspräsident hatte die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden Zweifall, Kornelimünster, Gressenich und Stolberg sowie die Polizei- und Feuerwehreinsatzkräfte, das Deutsche Rote Kreuz und Personal des Luftschutzes und der NSDAP dazu eingeladen, wie die Akte verrät.

Zum Glück ist weder Vicht noch irgendwo ein anderer Ort Schauplatz einer weiteren Zerstörung einer Talsperre geworden, die viele weitere sinnlose Todesopfer gefordert hätte. Die der Akte beiliegende Kuriermeldung „Talsperre in Rötgen zerstört", die der Polizeibeobachter im Ernstfall in Umlauf gebracht hätte, blieb ungenutzt.

Das Stadtarchiv beherbergt und sammelt als Historisches Kompetenzzentrum und ‚Gedächtnis der Stadt' Akten, Urkunden, Bilder, Bücher, Zeitungen, Nachlässe und andere Sammlungen der Stadtgeschichte. Historische Unterlagen aus allen Stadtteilen stehen dort interessierten Bürgern für Forschung, Wissenschaft und Bildungsarbeit zur Verfügung.