Alles rund um Aachen

Ein Titel für zwei Länder

Dass das nicht ganz so einfach werden dürfte, das weiß Rolf Schnier natürlich auch. Denn die Konkurrenz schläft nicht. Schon gar nicht beim Skat, wo höchste Konzentration gefordert ist. Daher beginnt für Schnier in wenigen Tagen die intensive Vorbereitungszeit auf die WM in Berlin, die vom 17. bis zum 25. August im Maritim Hotel stattfindet. Veranstaltet wird das Turnier vom Weltverband, der International Skat Players Association (ISPA).

Zwischen 800 und 900 Spieler aus rund 15 Ländern werden bei der 21. Skat-WM erwartet. Seit 1983 spielt Rolf Schnier für den Verein „Ohne Elf La Calamine" aus dem belgischen Kelmis. Das erklärt auch, dass er 2016 als Träger der belgischen Flagge in Las Vegas aufgetreten ist. „Der damalige belgische Meister hat nicht an der WM teilgenommen, daher durfte ich die Flagge stellvertretend tragen", erzählt Schnier stolz und ergänzt mit einem verschmitzten Lächeln: „Das ist doch das Besondere an meinem Titel. Ich habe ihn gewissermaßen für zwei Länder, für Deutschland und Belgien, errungen." Ein Gefühl, das spätestens seit der zurückliegenden Fußball-WM in der Grenzregion weit verbreitet ist, als viele Deutschlandfans nach dem Ausscheiden des DFB-Teams den roten Teufeln aus dem Nachbarland die Daumen drückten. Gemeinsam auf etwas hinarbeiten, auf ein Ziel hin fiebern, die Konkurrenz aber auch den Respekt und die Freundschaft beim Skat spielen erleben, all das schätzt Schnier an seinem Sport. Doch nicht nur da. Auch bei seinem Job sind ihm diese Aspekte sehr wichtig.

Ein internationaler Öcher in allen Lebenslagen

„Ich könnte nicht alleine im Büro sitzen. Dafür bin ich viel zu gerne mit Menschen zusammen", sagt Schnier. Und die kommen im Alltag aus aller Herren Länder zu ihm ins Rathaus. Aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden, aus Großbritannien und den USA bis hin zu Gästen aus Fernost. Und, nicht zu vergessen, die zahlreichen Öcher, die täglich bei Schnier und seinen Kollegen an der Pforte vorbeischauen. „Bei uns im Rathaus geht es richtig international zu. Ob Hochzeitsgäste oder Besucher, fast alle, die bei uns hereinkommen, haben gute Laune. Das macht einfach Spaß!", liebt der Wahl-Aachener, der aus Stolberg-Mausbach stammt, den Kontakt zu Touristen und Einheimischen gleichermaßen. Netter Nebeneffekt: „Meine Fremdsprachenkenntnisse konnte ich seitdem deutlich erweitern." Seit 2000 arbeitet Rolf Schnier bei der Stadt Aachen, seit 2002 im Rathaus.

Schon deutlich länger aber ist seine große Leidenschaft, das Skatspiel, Teil seines Lebens. „Die ersten Runden habe ich schon mit sechs Jahren gespielt", erinnert er sich. In seiner Familie lagen die 32 Spielkarten stets parat. Die Eltern, die Großeltern, die Geschwister – alle spielten Skat. Und der kleine Rolf dann eben auch. Schnell begriff er die Kniffe, die Strategie, das taktische Geschick, das vonnöten ist, um seine Mitspieler auszustechen. Skat, so könnte man beinahe glauben, wenn man dem Weltmeister zuhört, ist regelrecht eine Wissenschaft. „Das Spiel besitzt etwa 1,6 Trillionen Möglichkeiten der Kartenverteilung", erklärt Schnier. Selbst wenn man ein Leben lang spielen würde, es grenzt an ein Ding der Unmöglichkeit, dass sich eine Partie einmal eins-zu-eins wiederholt.

 Höchste Konzentration gefordert

Mit 14 Jahren begann Schnier, Skatturniere zu spielen. Gut 40 Jahre später, im Jahr 2016, sollte dieser Weg in Las Vegas mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft seinen vorläufigen Höhepunkt finden. „Skat spielen und dabei gemütlich ein Bierchen trinken ist bei solch einem Wettbewerb natürlich nicht drin", stellt Schnier klar. Skat ist Sport, vor allem für den Kopf. Die Vorqualifikation geht über fünf Tage. „Sechs Stunden spielen wir dann jeweils am Stück", so Schnier. Dann folgt ein Spieltag der Nationalmannschaften. Reine Spielzeit dort: acht Stunden. Sollte es Schnier erneut unter die Top 16 der Einzel-Wertung schaffen, steht am Finaltag die größte Herausforderung an  „Ich muss meine Karten optimal ausnutzen. Skat hat natürlich einen Glücksfaktor, aber je mehr Spiele gespielt werden, desto wahrscheinlicher ist, dass sich der, der die Karten am besten verarbeitet, am Ende durchsetzt." Und in Sachen Durchsetzen hat Schnier bekanntlich durchaus Erfahrung. Nur: Dieses Mal wird er der Gejagte sein. „Meine Gegner wissen natürlich: Hier sitzt der Weltmeister am Tisch. Und den will bekanntlich jeder schlagen", will sich Rolf Schnier  dennoch nicht aus der Ruhe bringen lassen und sein Spiel durchziehen. Dafür hat er sich über die Jahrzehnte eine unglaubliche Beobachtungsgabe angeeignet. Jedes Zucken, jede noch so kleine Veränderung der Mimik im Gesicht der Konkurrenten registriert er, kombiniert sekundenschnell, wie die Kartenverteilung am Tisch aussehen mag und zieht daraus seine Schlüsse.

 Pure Leidenschaft

Es ist bereits die vierte WM, an der Schnier teilnimmt. Die Wettkämpfe finden abwechselnd in Europa und in Übersee statt. Auch bei vier Europameisterschaften ist der Rathaus-Pförtner bereits angetreten. Reich wird man mit dem Skatspiel übrigens nicht. Rund 3500 Dollar hat er für seinen WM-Triumph 2016 erhalten – in etwa so viel wie die Reise nach Las Vegas damals gekostet hat. „Skat spielt man nicht fürs Geld, Skat spielt man aus Leidenschaft", sagt Schnier dazu im Brustton der Überzeugung. Geht aber nicht doch manchmal der Blick neidvoll zu den Profi-Pokerspielern, bei denen um Millionen gezockt wird? „Nein", antwortet Schnier. Und zwar in einer Art, die keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Aussage aufkommen lässt. „Wenn man im Finale sitzt und spielt, dann denkt man nicht ans Preisgeld."

Bei allem Ehrgeiz: Die nötige Gelassenheit lässt sich Schnier nicht nehmen. „Ich habe vor zwei Jahren ein wunderschönes Geschenk bekommen. Ich bin Weltmeister geworden, als einer von 19 in 40 Jahren." Das kann ihm keiner mehr nehmen. Ebenso wie die vielen wunderschönen Augenblicke, die er seitdem erlebt hat und immer wieder aufs Neue erlebt. „Einmal kam zum Beispiel eine ältere Dame ins Rathaus und bat mich um ein Autogramm für ihren skatbegeisterten Enkel. So habe ich viele solcher wunderschönen Geschichten in den zurückliegenden beiden Jahren erlebt", ist Schnier sichtlich berührt von der Resonanz der Menschen. Wenn er durch die Innenstadt geht, kommt es nicht selten vor, dass er angesprochen wird. „Sind Sie nicht der Skat-Weltmeister? Wann startet das Projekt Titelverteidigung?", heißt es dann. Oder einfach ein Ruf über den Marktplatz: „Hallo Weltmeister! Wie jeht et?" Das, so sagt Schnier, seien einfach wunderbare Begegnungen. Und immer wieder erhält er Einladungen zu Skatrunden. „Die nehme ich, soweit es mir möglich ist, auch gerne an." Beim jährlichen Dom-Skat für den guten Zweck ist er selbstredend längst ebenfalls gern gesehener Gast. Doch all das steht nun hinten an. Der Fokus richtet sich ganz auf die Weltmeisterschaft.

Nach den noch anstehenden intensiven Vorbereitungstagen mit seinen Trainingspartnern steigt die neunköpfige Truppe um Rolf Schnier am 16. August in den Zug. Das Ziel: Berlin. Was sie während der mehrstündigen Fahrt machen? „Skat spielen, ist doch klar", sagt der Weltmeister und lacht. Die Mission „Titelverteidigung" kann kommen.

Weitere Infos

Wer die Skat-WM in Berlin und das Abschneiden des Aachener Rathaus-Pförtners verfolgen will, kann dies im Internet tun. Auf der Homepage der International Skat Players Association (ISPA) werden die Ergebnisse aktuell veröffentlicht: www.ispaworld.org. Das Turnier läuft vom 17. bis 25. August.