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Wissenschaftler der RWTH Aachen und des Forschungszentrums Jülich konnten erstmals die strukturellen Vorgänge in einem adaptiven Hydrogel bestimmen. Mithilfe von Röntgenstreuexperimenten und Computersimulationen zeigten sie die Größen- und Strukturänderungen des Hydrogels als Reaktion auf äußere Reize. Die Ergebnisse könnten neue Anwendungen in der Technik und der Medizin ermöglichen.

Adaptive Polymere sind sogenannte Makromoleküle, deren Struktur sich an äußere Reize anpasst, etwa Temperatur, pH-Wert oder die Aufnahme und Abgabe von Molekülen. Eine besondere Art dieser oft als intelligente Materialien bezeichneten Polymere sind Hydrogele, da sie die Herstellung von reaktionsfähigen Materialien in natürlichen biologischen Umgebungen ermöglichen. „Typischerweise bewirkt ein äußerer Reiz eine Volumenänderung des Hydrogels, die mit Veränderungen anderer physikalischer Eigenschaften einhergeht, etwa optischer und mechanischer Art“, erklärt der Jülicher Biophysiker Prof. Roland Winkler. So werden Hydrogele unter anderem in der Kleinrobotik eingesetzt, oder – in einem biologischen Setting – zum Erkennen und Freisetzen von Wirkstoffen.

Besonders interessant sind reaktionsfähige Mikro- und Nanogele, da die geringen Entfernungen zwischen den Teilchen sehr kurze Reaktionszeiten ermöglichen. „Ihre poröse Struktur erlaubt einen schnellen Stoffaustausch und damit eine sehr schnelle strukturelle Anpassung an die Umgebung“, erläutert Winkler. Die Anpassung der Mikrogelstruktur beinhaltet einen einzigartigen Übergang von einem flexiblen, makromolekularen Netzwerk zu einem gallertartigen Teilchen mit homogener Dichte und scharfer Oberfläche.

Wissenschaftlern der RWTH Aachen und des Forschungszentrums Jülich gelang es gemeinsam mit Kollegen aus Frankreich und Dänemark nun, die strukturelle Entwicklung während des Übergangs von Mikrogel zu Teilchen zu bestimmen. Seitens der RWTH sind Prof. Walter Richtering, Otto Virtanen und Dersy M. Lugo vom Institut für Physikalische Chemie sowie Prof. André Bardow, Rico Keidel und Peter Beumers vom Lehrstuhl für Technische Thermodynamik hieran beteiligt. Die Forschungsergebnisse wurden jetzt im Fachjournal Science Advances veröffentlicht. Mithilfe von zeitaufgelösten Kleinwinkel-Röntgenstreuexperimenten und Computersimulationen zeigten sie einen zweistufigen Prozess: In einem ersten, sehr schnellen Schritt werden an der Peripherie kollabierte Cluster gebildet, die zu einer Zwischenstruktur in Form einer hohlen Kernschale führen. Diese wandelt sich dann in der zweiten Phase langsam in eine Kugel um.

Die strukturelle Veränderung ist dabei unabhängig von der Art des Reizes: Sie gilt sowohl für sehr schnelle Übergänge – etwa bei einem Temperatursprung – ebenso wie für langsamere Reize. Die schnellen Größen- und Formänderungen bieten einzigartige Möglichkeiten für unterschiedliche Anwendungen, etwa bei der Katalyse, Sensorik oder der Aufnahme von Medikamenten.

„Mit dem gewonnenen Wissen wollen wir ein neues komplexeres Mikrogel aufbauen, beispielsweise mit Kern-Schale-Struktur. Solche Mikrogele könnten als Transportkapsel dienen: Sie schützen den Inhalt und können durch Ausdehnen auf den Inhalt reagieren“, erklärt Prof. Walter Richtering. Ein weiteres Projekt der Wissenschaftler beschäftigt sich mit Krankheiten, die Giftstoffe im Darm freisetzen. „Unsere Kollegen entwickeln nun ein Mikrogel, das der Patient schlucken kann und das diese Giftstoffe bindet. Anschließend würde das Gel wieder ausgeschieden. Das ist aber noch Zukunftsmusik.“

Originalpublikation: "Time-resolved structural evolution during the collapse of responsive hydrogels: The microgel-to-particle transition"
Rico Keidel, Ali Ghavami, Dersy M. Lugo, Gudrun Lotze, Otto Virtanen, Peter Beumers, Jan Skov Pedersen, Andre Bardow, Roland G. Winkler, Walter Richtering
Science Advances,  06 Apr 2018, Vol. 4, no. 4, eaao7086, DOI: 10.1126/sciadv.aao7086
http://advances.sciencemag.org/content/4/4/eaao7086