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Als am 20. Juli 1964 im Audimax der Technischen Hochschule mit Künstlern wie Joseph Beuys, Wolf Vostell, Bazon Brock und Robert Filliou die Größen der FLUXUS-Bewegung auftraten, war die performative Avantgarde-Kunst mit einem Paukenschlag in Aachen eingefallen. Zur skandalträchtigen Aktion hatte der damalige Kulturreferent der Studentenvertretung der TH eingeladen – Valdis Āboliņš (1939-1984).

 Obwohl der gebürtige Lette in den 1960er-Jahren eine der zentralsten Figuren der Aachener Avantgardeszene war, blieb seine Person hinter den von ihm initiierten Kunstaktionen weitgehend verdeckt. Dabei ist seine eigene Biografie nicht weniger schillernd als die Kunst, für die er sich stark gemacht hat. Das zeigt jetzt die dokumentarische Ausstellung „Valdis Āboliņš und wie FLUXUS nach Aachen kam", vom 23. März bis 19. August 2018 im Ludwig Forum für Internationale Kunst in Aachen zu sehen ist.

„Gedenkveranstaltung" im Audimax

Āboliņš Leben spielte sich in der Ära des Kalten Krieges ab, in der Atmosphäre des politischen und kulturellen Umbruchs im Westen einerseits und als Teil der politischen Gemeinschaft lettischer Nachkriegs-Exilanten andererseits. In beiden Sphären hinterließ Āboliņš deutliche Spuren, an die die Ausstellung Valdis Āboliņš und wie FLUXUS nach Aachen kam erinnern möchte.

Während des Zweiten Weltkrieges, kurz vor der zweiten Besetzung Lettlands durch die Sowjetunion 1944, setzten sich mehr als 200.000 Letten (ca. 10% der Bevölkerung) in den Westen ab und blieben häufig auch nach dem Krieg dort. Auch Āboliņš kam als Kleinkind zusammen mit seiner Familie als Geflüchteter nach Deutschland. Nach einer Zwischenstation in einem Lager für sogenannte Displaced Persons zog die Familie Anfang der 1950er-Jahre nach Köln.

Als sich in den frühen 1960er-Jahren das gesellschaftliche Klima in Westeuropa immer spürbarer zu verändern begann, nahm Valdis Āboliņš sein Architekturstudium in Aachen auf. Als Kulturreferent der Studentenvertretung der Technischen Hochschule wollte er den allgemeinen kulturellen Umbruch der Zeit von Aachen aus miterleben und -gestalten, in dem er experimentelle Theaterperformances, künstlerische Happenings und Konzerte veranstaltete. Das folgenreichste Event war das eingangs erwähnte Fluxus-Festival der Neuen Kunst im Audimax der Universität. Der Termin der Veranstaltung am 20. Juli 1964 fiel mit dem Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler 1944 zusammen. Als „Gedenkveranstaltung" deklariert, bezogen sich viele der auftretenden Künstler in ihrem Beitrag auf die Zeit des Faschismus, was zu tumultartigen Szenen während der Aufführung und im Nachgang zu einem handfesten Skandal führte, für den sich Āboliņš und seine Mitstreiter in einem Ermittlungsverfahren zu verantworten hatten.

Von Nam June Paik bis Immendorff

Āboliņš organisierte weitere avantgardistische Ausstellungen, Aktionen und Happenings mit Künstlern wie Nam June Paik, Charlotte Moorman und Günter Brus in den Räumen der Hochschule, ab 1966 dann auch in der Galerie Aachen, die er zusammen mit Kommilitonen gegründet hatte. Die hier gezeigten damals gerade aufstrebenden, heute teils weltberühmten Künstler, forderten das traditionelle Kunstverständnis heraus und koppelten ihre Aktionen mit der sozio-politisch aufgeladenen Atmosphäre der 1960er-Jahre rück: Hans-Peter Alvermann, John Latham, Chris Reinecke und andere. Jörg Immendorff, damals noch Kunststudent in Düsseldorf, zeigte in der Galerie Aachen eine seiner ersten Aktionen außerhalb der Kunstakademie; Franz-Erhard Walther hatte hier seine erste Einzelausstellung überhaupt. Die Galerie Aachen existierte nur eineinhalb Jahre, aber wie der Kunstkritiker Klaus Honnef schrieb: „Sie gab Impulse für kulturelle Entwicklungen, die in Aachen einige Jahre früher keiner für möglich gehalten hätte."

1968, auf dem Höhepunkt der studentischen Protestbewegungen und der Aktivitäten der Außerparlamentarischen Opposition, entwickelte Valdis Āboliņš, geprägt von Gedanken des Neomarxismus und der Kritischen Theorie, die Idee einer neuen Linken im Kontext der Gemeinschaft lettischer Exilanten. Ziel war es, Möglichkeiten eines kulturellen Austauschs zwischen dem Westen und Lettland zu finden, das im Ostblock weitgehend isoliert war. Nach seiner Übersiedlung nach West-Berlin wurde Āboliņš 1975 Geschäftsführender Sekretär der neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (nGbK), deren Ausstellungstätigkeit sich auf politisch-kritische Kunst konzentrierte. Wahrscheinlich war es gerade die Perspektive des Exilanten Āboliņš, die dazu führte, dass die nGbK einen nicht-westlichen Fokus entwickeln konnte, noch bevor dies im Zuge der Postcolonial Studies im allgemeinen Kulturbetrieb ein Thema wurde.

Einen besonderen Stellenwert im kreativen Leben von Valdis Āboliņš hatte seine Mail Art. Seine experimentell und exzentrisch gestalteten Briefe gingen nicht nur an Freunde in Deutschland, sondern reisten auch hinter den Eisernen Vorhang, woraus sich ein privates Kunst-Korrespondenz-Netzwerk spann, das unabhängig von bekannten Mail-Art-Bewegungen war, etwa im Fluxus-Kontext.

Fotos, Filme, Originaldokumente

Anhand von Fotos, Filmen und Originaldokumenten lädt die Ausstellung im Ludwig Forum dazu ein, das Leben und Wirken Valdis Āboliņš zu entdecken. Dies schließt die vielen Avantgarde-Veranstaltungen, die Āboliņš nach Aachen holte, genauso ein wie die kulturellen Beziehungen, die er durch den Eisernen Vorhang hindurch knüpfte. So thematisiert die Ausstellung nicht nur die Konfrontationen und Brüche der Ära des Kalten Krieges, sondern auch die Möglichkeiten kultureller Brückenschläge zwischen den Machtblöcken in Ost und West.
Die Präsentation bildet den Auftakt der Ausstellung Flashes of the Future. Die Kunst der 68er oder Die Macht der Ohnmächtigen und entstand in Kooperation mit dem Latvian Center for Contemporary Art (LCCA) in Riga.
Eröffnung ist am Donnerstag, 22. März 2018, um 20 Uhr. Dann wird auch der Justus Bier Preis für Kuratoren an Dr. Andreas Beitin, Dr. Brigitte Franzen und Holger Otten verliehen.
Kuratoren: Ieva Astahovska / Benjamin Dodenhoff

23. März 2018 – 19. August 2018