Baesweiler

Am 20. Dezember hat der Künstler Gunter Demnig weitere Stolpersteine in Baesweiler verlegt. Seit 1992 widmet er sich dem Stolpersteinprojekt und erinnert an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt. Einzelschicksale sollen die Stolpersteine deutlich machen. Jedes Opfer erhält seinen eigenen Stein, der neben dem Namen auch das Geburtsjahr, das Deportationsjahr sowie Angaben zum Schicksal trägt. 44 Juden wohnten in Baesweiler. Einige sind geflohen bzw. ausgewandert, 4 starben eines natürlichen Todes im Heimatort bzw. im Exil, mindestens 25 wurden ermordet und einige Schicksale sind unbekannt. An jede und jeden von ihnen wird demnächst ein Solperstein erinnern.

Erstmalig sind nun Stolpersteine für Menschen verlegt worden, die der Ermordung durch das Nazi-Regime dank weiser Voraussicht oder günstiger Umstände entkommen sind. Die öffentliche Erinnerung an das Leid, das den jüdischen Bürgerinnen und Bürgern auch in Baesweiler angetan wurde, bekommt damit ein umfassenderes, ein vollständigeres Bild. Alle Verfolgten des Nazi-Terrors eint eines: Sie waren ohne irgendeinen Zweifel unschuldige Opfer einer unmenschlichen Ideologie. Kinder, Frauen und Männer, Arme und Reiche, Gläubige und Ungläubige waren Ziel des blinden Hasses. Die Nazis beraubten sie erst ihrer bürgerlichen Existenz und menschlichen Würde, später dann auch ihres Lebens. Nur wenigen gelang es, dem sicheren Tod durch frühzeitige Emigration zu entrinnen. Kaum jemandem war es vergönnt, von den alliierten Befreiern aus Lagern gerettet zu werden.

„Oft spricht man in diesem Zusammenhang von der „geglückten Flucht“ oder der „glücklichen Befreiung“. Aber ist es richtig, in diesem Kontext das „Glück“ zu bemühen? Laufen wir nicht Gefahr, das Leid, die Qualen und die Entbehrungen der Exilanten und Befreiten – wenn auch unbewusst und ungewollt – damit zu relativieren? „Glück“ suggeriert uns, dass die Schicksale der Davongekommenen weniger schlimm waren. Die Überlebenden haben ihr nacktes Leben retten können, aber dennoch Tag für Tag gelitten. Auch sie waren alle gleichermaßen Opfer; ohne Unterschied und ohne Glück“, sagte Bürgermeister Dr. Willi Linkens bei der Verlegung.
Deswegen sei es nur recht und billig, dass man auch jenen Beachtung schenke, die sich vor dem sicheren Tod durch Flucht oder Befreiung in Sicherheit bringen konnten, fuhr er fort.

Richard und Sibille Levy flohen 1936 mit ihren Töchtern Röschen und Hilde nach Palästina. Richard Levy, geb. 19.10.1894 in Carolinensiel, hatte 5 Brüder. Er lebte mit seinen Eltern Moritz und Röschen Levy auf Wangerooge. Die Eltern gingen bereits 1934 nach Palästina. Fünf ihrer Söhne mit ihren Familien folgten ihnen, darunter Richard Levi. Nur Erwin und seine Familie flohen nach Eygelshoven in Holland, wo sie 1943 durch die Nazis festgenommen, deportiert und in Auschwitz und in Sobibor umgebracht wurden.

Richard Levy und seine Brüder Dagobert und Erwin hatten nach dem 1. Weltkrieg die Herzen der Schwestern Sibille, geb. 31.05.1895, Mina und Selma Simon aus Setterich gewonnen und feierten am 23. Februar 1920 in Setterich eine äußerst seltene Dreier-Hochzeit. Richard und Sibille Levy lebten nach ihrer Hochzeit zunächst in Ostfriesland, Tochter Rosalie „Röschen“ wurde am 21.1.1921, Tochter Hilde am 4.3.1924 in Carolinensiel geboren. Im Januar 1926 zog die Familie von Wangerooge nach Baesweiler, wo bereits Erwin und Dagobert Levy als Handelsleute tätig waren. Noch im gleichen Monat meldet Richard sein Motorrad bei der Polizeiverwaltung in Baesweiler an.

1927 wird Richard im Adressbuch Baesweiler mit einer Fleischerei Breite Straße 15, heute 27, geführt. Im gleichen Jahr wird die Verkaufsstelle in das von ihm erbaute Wohn- und Geschäftshaus in der Breite Straße 50, heute 74, verlegt. Dort wurde der Bau einer großen Schlachtanlage im Hofraum begonnen und schon 1928 in Betrieb genommen. Der Betrieb entwickelte sich zu einer der größten Schlachtereien am Ort. Aus den statistischen Angaben über die Schlachtungen in Baesweiler ergibt sich, dass Richard Levy von 1928 bis Mai 1933 unter den 6 Schlachtereien fast immer die meisten Schlachtungen durchführte.

1932 berichtet Bürgermeister Hahn an den Landrat, dass die Schaufensterscheibe des Fleischerladens Richard Levy von der SA eingeschlagen wurde. 1932 beteiligt sich Richard Levy an der Winterspende für Bedürftige mit 20 Pfund Rindfleisch und 15 Pfund Wurst. Im Mai 1933 dürfen Jüdische Geschäfte keine „Reichsverbilligungsmarken“ von Bedürftigen annehmen, diese können damit z.B. Fette billiger einkaufen. Richard Levy muss ein Schild im Fleischerladen aushängen, dass er keine Marken annimmt. Im August hebt der Kreisleiter der NSDAP, Hägele, das örtliche Verbot wieder auf. Im Mai 1933 wird Richard Levy nicht mehr in der Handwerkerliste der Innung aufgeführt. Im Januar 1934 fehlt Schlachtermeister Richard Levy erneut in der Liste für zugelassene Geschäfte, die Verbilligungsmarken annehmen dürfen.
Im November 1934 kann das von Reichspräsident Hindenburg gestiftete Ehrenkreuz für Frontkämpfer im 1. Weltkrieg beantragt werden. Dagobert (MarinestammNr. 33/14) und Richard Levy (KriegsstammNr. 3890/18) beantragen mit Belegen diese Kriegsauszeichnung. Die Akten verzeichnen allerdings keine Verleihung.
Im Juni 1935 berichtete der Baesweiler Bürgermeister dem Landrat, dass es Gewaltakte der SA gegen jüdische Geschäfte gab. Er forderte die „Unterbindung der unangebrachten Juden-bekämpfung.“
Im September 1935 verkauft Richard Levy für 20.156 Reichsmark Haus und Grundstück. Im Wiedergutmachungsverfahren von 1948 heißt es dazu: „Er hat freiwillig und ohne jede Beeinflussung verkauft und deshalb keine Ansprüche mehr.“

Am 30. April 1936 registriert das Einwohnermeldeamt, dass Familie Levy nach Jerusalem verzogen ist. Richard Levy gelang der Aufbau einer erfolgreichen beruflichen Existenz in Israel. Seine Fleischfabrik belieferte die israelische Armee mit Fleischkonserven. Richard Levi war in den fünfziger Jahren gemeinsam mit seinem Bruder Dagobert noch einige Male in Baesweiler, um ihre Wiedergutmachungsangelegenheiten zu verfolgen. Dabei wurden auch wieder Kontakte zu einigen Baesweiler Familien gepflegt.

„Dem unfassbaren Nazi-Terror stehen wir immer wieder hilflos gegenüber. Uns bleiben nur Worte, um an das Geschehene zu erinnern. Sind die Reden gehalten, wenden wir uns wieder unserem Alltag zu, sagte Dr. Linkens vor zahlreichen Gästen und Sponsoren, die der Stolpersteinverlegung beiwohnten. „Die Stolpersteine aber sind ewig und unvergänglich. Sie wecken unsere Erinnerung während des ganzen Jahres, auch außerhalb von Gedenktagen und besonderen Anlässen und mahnen uns, das Andenken der Menschen, die die Qualen des NS-Regimes erlitten, zu ehren.“ Er dankte den Sponsoren - Pfarrgemeinde St. Marien Baesweiler, CDU-Stadtverband Baesweiler, Personalrat der Stadt Baesweiler und FDP Baesweiler -, die durch die Übernahme einer Patenschaft die Herstellung und Verlegung der Stolpersteine möglich machen und rief mit dem jüdischen Sprichwort „Wirklich tot sind nur jene, an die sich niemand mehr erinnert“ dazu auf, erneut ein unübersehbares Zeichen gegen das Vergessen zu setzen.